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Die Welt abbilden, wie sie ist

Eine Erkenntnis des Kommunalen GIS-Forums 2022 lautete: „Wir können aus Daten lernen“. Entscheidend dafür ist aber, dass eine valide Datenerhebung und -steuerung stattfindet. Solide umgesetzt, sind Daten der Schlüssel für den Erfolg der Datenakzeptanz und -nutzung. Das zeigte sich im ersten Teil unserer Nachlese zum Kommunalen GIS-Forum. Und sonst? Wichtige Hilfen für Städte und Kommunen bieten Modelle, digitale Zwillinge und 3D-Geodaten, wie der zweite Teil unserer Nachlese zeigt.

Nicht nur in der Industrie halten digitale Zwillinge immer mehr Einzug, sondern auch in Städten und Kommunen. Bild: stock.adobe.com (putilov_denis)

Bleiben wir einen Moment bei den 3D-Geodaten oder wie es Stephan Bludovsky, Landesamt für Geoinformation und Landentwicklung Baden-Württemberg (LGL), formuliert: „3D-Datenumgebungen ist eines der Trendthemen.“ Ganz in diesem Sinne präsentierte er neue 3D-Datenprodukte in Baden-Württemberg. Doch vor dem Blick nach vorne folgte einer zurück – genauer: bis zum Ende der 1990er-Jahre. Damals fiel nach S. Bludovskys Meinung der Startschuss für hochauflösende 3D-Daten aufgrund der Hochwasserereignisse in Baden-Württemberg. Damit einherging auch die erste Laserscanbefliegung von 2000 bis 2005 als ALS-1 (Airborne Laserscanning). Dass diese Daten mit einer Punktdichte von circa einem Punkt/m² heute nicht mehr die gewünschten Ergebnisse liefern, macht Aktualisierungen notwendig. S. Bludovsky spricht von allen zehn Jahren und verweist auf die Zweitbefliegung (ALS-2) von 2016 bis 2021. „Die Menge an Daten braucht viel Arbeit“, erklärt S. Bludovsky mit Blick auf den Zeithorizont. Die Ergebnisse hieraus lieferten eine Punktdichte von mindestens acht Punkten/m². Diese zweite Befliegung folgte dem Ziel der Klassifizierung der aufgenommenen Punkte in fünf Klassen: Boden, Gebäude, Brücken, Unterboden und Vegetation bei einer Datenlieferung in Kacheln von 1 × 1 km². Im Ergebnis zeigt sich, dass ALS-2 eine detailliertere Darstellung ermöglicht, sei es beispielsweise von landwirtschaftlichen oder bewaldeten Bereichen. Damit liefere sein Bereich die Grundlagen für andere Fachanwendungen, wie zum Beispiel der Hochwassersimulationen. Aktuell ist bereits eine neue Befliegung (ALS-3) gestartet, die bis Ende 2029 beendet sein soll. Bei dieser Befliegungsserie sei nach S. Bludovsky eine Erweiterung der Klassifizierung für das Digitale Oberflächenmodell (DOM) sowie das Digitale Geländemodell (DGM) vorgesehen, um unter anderem Leitungen zu klassifizieren. Die neue Befliegung verspricht viel. Oder wie es das LGL zur neuen ALS-3-Kampagne und der Laserscanbefliegung formuliert: „Das ist die Höhe!“

Wie solche Daten und Modelle ihre konkrete Anwendung im Austausch mit Bürgern finden können, zeigte Katja Drüssler vom Kompetenzzentrum Digitaler Zwilling München. Unter dem Titel: „Münchener Ansätze zur Öffentlichkeitsbeteiligung“ erläuterte sie den Einsatz des digitalen Zwillings in der bayerischen Landeshauptstadt. „Der digitale Zwilling ist das digitale Herzstück der Zukunftsstadt München“, so K. Drüssler und führt fort: „Damit kann den Herausforderungen der Smart City München mit innovativen Lösungen begegnet werden.“ Wichtig sei nach K. Drüssler, dass mithilfe der Urban Data Platform eine zentrale Datendrehscheibe des digitalen Zwillings bestehe, die Insellösungen überwinde und diese zu einem gemeinsamen Ökosystem vernetze. Die Stoßrichtung heißt eine stärkere Digitalisierung von Verwaltungsprozessen sowie die Visualisierung von angestrebten Veränderungen im Vorfeld, um Bürger besser in Entscheidungen einbinden zu können. K. Drüssler: „Zentrale Zukunftsthemen wie der Klimaschutz, eine zukunftsorientierte Mobilität oder die integrierte Stadtentwicklung kann die Stadtfamilie mit dem digitalen Zwilling bestmöglich umsetzen.“ Um die Priorisierung des Digital Twin voranzutreiben, ist dieser in zahlreichen Strategien innerhalb der Stadt verankert – angefangen beim Klimaschutz in München, der Digitalisierungsstrategie bis zum Smart-City-Handlungsprogramm und der Münchner Nachhaltigkeitsstrategie. Hinsichtlich der Münchner Urban Data Platform setzen die Verantwortlichen auf international standardisierte, herstellerunabhängige und offene Schnittstellen.

„Damit wird die Vernetzung bestehender Systeme und Datenplattformen ermöglicht“, so K. Drüssler. Das digitale Abbild der Stadt braucht am Ende auch eine Umsetzung im realen München, um mithilfe von Analysen, Szenarien und Modellen zu Veränderungen in der Stadt zu gelangen. Aktuelle Anwendungsfälle finden sich unter anderem in den Bereichen des Klima- und Umweltschutzes, der Mobilität und der Bürgerbeteiligung. Als Beispiel für Letztere nennt K. Drüssler das Projekt in Freiham (ein Neubaugebiet im Westen Münchens) und der Visualisierung von Bauabschnitten mittels Virtual-Reality-(VR-)Brillen. Mit solchen Maßnahmen können nach ihrer Ansicht die Bürger Planungsszenarien neu erleben. Als weiteres Planungsszenario mit VR erwähnt K. Drüssler den Lastenfahrrad- oder Rollstuhl-Simulator im Mobilitätsumfeld. In Summe ermöglicht der digitale Zwilling die Abbildung der Realität und von Analysen, macht Partizipationsprozesse einfacher sowie verständlicher und erlaubt der Stadt das aktive Steuern von Prozessen und Projekten.

Große Stücke auf digitale Zwillinge hält auch Prof. Dr. Volker Coors von der Hochschule für Technik Stuttgart (HFT Stuttgart). In seinem Gemeinschaftsvortrag mit Martin Rinner, Landratsamt Regensburg, und Korbinian Jutz von der Stadt Neu-Ulm, ging es um 3D Portrayal Services in Pilotstädten. „3D-Daten für Kommunen auf Knopfdruck“, so der Titel des Vortrags. Ein Wunsch vieler Städte und Kommunen, der im konkreten Projekt mit den Pilotstädten Regensburg und Neu-Ulm versucht wurde, zu realisieren. Prof. Dr. V. Coors: „Das Projekt unter Federführung des Runden Tisch GIS e. V. sollte die Möglichkeit der 3D-Webvisualisierung aufzeigen.“ Und Wissenschaftler Prof. Dr. V. Coors ergänzt: „Wichtig war, die sich daraus ergebenden Anwendungsfelder anhand konkreter Use Cases aus dem Umfeld der Kommunen und der Landesverwaltung aufzeigen.“ Neben der HFT Stuttgart war auch die Technische Universität München (TUM) für die technische Realisierung an Bord.


Lesen Sie ein Interview mit Prof. Dr. Volker Coors von der HFT Stuttgart unter dem Titel: „In Zukunft stelle ich mir den digitalen Zwilling als integriertes Werkzeug zur Datenanalyse vor“ in der gis.Business 5/2022.


Grundsätzlich sei nach Prof. Dr. V. Coors Worten die Webvisualisierung per se keine neue Sache. Vielmehr ging in dem Projekt vor allem darum, die Datennutzung zu vereinfachen und das Erstellen von Anwendungen einfacher und schneller zu gestalten. Dabei besteht ein Knackpunkt webbasierter Visualisierungen von 3D-Geodaten in den zu übertragenden Datenvolumen bei großen Datenbeständen. Ein Umstand, der bei einer visuellen Darstellung ganzer Quartiere zu erheblichen Wartezeiten führt und letztendlich den Arbeitsprozess ins Stocken bringt. Mithilfe des Streamings von Daten lässt sich dieser Prozess erheblich verbessern – das heißt vom Aufruf einer Seite bis zur ersten Darstellung. In den letzten Jahren wurden eine Reihe von Open-Geospatial-Consortium-(OGC-)Standards rund um das Streaming von 3D-Geodaten entwickelt. Dank des neuen OGC-Standards 3D Portrayal Service (3D PS) bietet sich jetzt die Chance, vermehrt auf verteilte und kaskadierende 3D-Webservices zuzugreifen und das Hersteller- und Technologie-übergreifend. Prof. Dr. V. Coors erläuterte die Vorteile am Beispiel der Gemeinde Wüstenrot (Landkreis Heilbronn) und dem dortigen Einsatz des 3D GeoVolumes API Server. Im weiteren Verlauf zeigten M. Rinner (Landratsamt Regensburg) und K. Jutz von der Stadt Neu-Ulm ihre praktischen Einsatzmöglichkeiten im städtischen Umfeld. In Regensburg wurde untersucht, ob 3D PS einen geeigneten Weg zur Bereitstellung von 3D-Daten in einer Esri ArcGIS Enterprise-Umgebung ermöglicht. Hierzu wurden zwei Anwendungsfälle betrachtet, nämlich 3D-WebScene in WebOffice und die Erzeugung von Gelände- und Gebäudeschnitten (Höhenprofile). Im Ergebnis zeigte sich, dass der 3D Portrayal Service grundsätzlich geeignet ist zur Anwendung im Umfeld von ArcGIS Enterprise. Allerdings sei nach M. Rinner die direkte Einbindung des 3D PS im Portal/ArcGIS Online nicht möglich. Eine Lösung bestehe nach seinen Worten in einem Workaround.

Der Stadt Neu-Ulm wiederum gelang unter anderem die Einbindung von 3D-Daten im Web-GIS (Geodatenportal) sowie die Einblendung und Kombination aller im GIS vorhandenen 2D- und 3D-Karten. Als offene Punkte nennt K. Jutz beispielsweise den Import geplanter Bauvorhaben als auch die Simulationsmöglichkeiten zu 3D-Lärmimmissionen, dem Thema Hochwasser sowie zu Schadstoffen und dem Stadtklima in Gänze.

Den thematischen Abschluss des „3D-Geodaten-Blocks“ fand Dr. Markus Seifert vom Landesamt für Digitalisierung, Breitband und Vermessung, München. Sein Thema: „basemap.de – Einsatz smarter Webkarten in Bund, Ländern & Kommunen“. Hinter basemap.de steht eine Gruppe kartographischer Produkte – entwickelt von Bund und Ländern. Unter der Regie der Arbeitsgemeinschaft der Vermessungsverwaltungen der Länder der Bundesrepublik Deutschland (AdV) gehören hierzu unter anderem Raster- und Vektorkarten-Dienste. Dr. M. Seifert hob zu Beginn seines Vortrags die Vorteile der Lösungen hervor, die amtlich, flexibel und modern seien.

Konkret heißt das beispielsweise: Qualitätsgesicherte Geobasisdaten sowie eine hohe Qualität der Produkte unter Verwendung von Open-Source-Software samt vielfältiger Anwendungsmöglichkeiten der Karten – inklusive der Nutzung am Desktop oder mobil. „Dadurch eröffnen sich viele Anwendungsmöglichkeiten“, so Dr. M. Seifert. Nach seinen Informationen würde beispielsweise die Vektorkarte monatlich aktualisiert, wobei kürzere Zeiträume im Fokus liegen. Mit Blick auf die Dimensionen spricht Dr. M. Seifert von einer Zahl von 20 Millionen Gebäuden, die mittlerweile in der Vektorkarte hinterlegt seien. Zu den Möglichkeiten des Ausdrucks von Webkarten kommt der Service individueller Style-Anpassungen durch die Anwender sowie die Anreicherung der Basiskarte mit weiteren Informationen. Als Anwendungsbeispiele nennt Dr. M. Seifert unter anderem die Darstellung von Hochspannungsleitungen in einer bestimmten Farbe, die Windraddichte in Deutschland oder thematische Karten mit 3D-Bäumen. Damit ist mithilfe der angebotenen Lösungen nach Aussage der „basemap.de-Internetseiten“ „eine schnelle, flexible und wirtschaftliche Erzeugung von bisherigen und neuen kartographischen Produkten der Vermessungsverwaltungen“ möglich. Und damit kommen wir der abzubildenden Realität ein ganzes Stück näher. Oder wie es Dieter Heß, Vorstandsmitglied des Runden Tisch GIS und Moderator des 3D-Themenblocks, formuliert: „Die Welt so abbilden, wie sie ist.

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