Analoges Nachdenken über das Bauen und Wohnen

Andreas Eicher

„Es ist ein klein Paris und bildet seine Leute.“ Ein Zitat, entnommen aus Johann Wolfgang von Goethes Faust. Er spricht darin über: „Mein Leipzig lob ich mir!“ Lob ich mir, das sagen sich heute über 628.000 Einwohner, die Leipzig zur größten Stadt Sachsens machen – Tendenz steigend. Das war nicht immer so. Die Bundeszentrale für politische Bildung umriss in einem Beitrag von 2003 den Einwohnerschwund der Stadt. Autor des Beitrags ist Wolfgang Tiefensee, der zur damaligen Zeit Oberbürgermeister Leipzigs war (1998 bis 2005). W. Tiefensees Zahlen: „1933 hatte die Stadt 713.000 Einwohner, 1988 waren es schon 170.000 weniger. Doch die Geschwindigkeit des Einwohnerverlustes hat sich durch den Transformationsprozess nach der politischen ‚Wende‘ 1989 vervielfacht.“

Auch beim Bauen und Wohnen der Zukunft gilt: Erst einmal analog nachdenken, wohin die „Baureise“ gehen soll. Bild: stock.adobe.com (Monster Ztudio)

Glaubt man den Zahlen des Geoportals der Stadt Leipzig lag die Einwohnerzahl im Jahr 2000 bei knapp 480.000 und stieg seither an. Am Tiefpunkt der negativen Einwohnerentwicklung des Jahres 2000 war laut W. Tiefensee von „den fast 320.000 Leipziger Wohnungen (…) jede fünfte unbewohnt“. Und weiter: „In den das Stadtbild prägenden Altbauten standen über 40.000 Wohnungen leer, und dies beileibe nicht nur in unsanierten und verfallenden Gebäuden.“ Dass sich die Stadt Leipzig seit dieser Krisenbeschreibung W. Tiefensees positiv entwickelt hat, deuten die medialen Überschriften an. Die reichen von der Stadtentwicklung und „Was hinter Leipzigs Erfolg steckt“ (Die Welt, Mai 2015) bis „Leipzig boomt – Mehr als Messe, Musik und mutige Menschen“ des WDR vom Oktober letzten Jahres.

Von der Industrie zur Kultur und dem Wirtschaftsstandort

Damit zeigt sich, dass Städte sich in einem permanenten Wandlungsprozess befinden: von der Industrie- zur Kulturstätte bis zum neuen Wirtschaftsstandort für eine ganze Region. Städte üben damit seit jeher eine magische Anziehungskraft auf Menschen aus. Sei es aufgrund der Verheißungen von Arbeit und Wohlstand, dem Ein- und Abtauchen in der Anonymität des Häusermeeres oder auf der Suche nach dem Amüsement und der Zerstreuung. Die Gründe für das Stadtleben sind vielfältig. Einer, der das Stadtleben zu schätzen wusste, war der irische Kritiker und Schriftsteller Oscar Fingal O’Flahertie Wills Wilde, bekannt als Oscar Wilde. Das brachte der für seinen extravaganten Lebensstil bekannte O. Wilde wie folgt zum Ausdruck: „In der Stadt lebt man zu seiner Unterhaltung, auf dem Land zur Unterhaltung der anderen.“ Die Kraft und den Glanz von Städten umschreibt die Rosa-Luxemburg-Stiftung so: „Die Vorstellung von Städten als Orte, in denen wir uns zugleich daheim und fremd fühlen können, hat einen gewissen Reiz. Man kennt die Straßen und Geschäfte, die Alleen und Gassen, kann aber dennoch ganze Tage dort verbringen, ohne erkannt zu werden.“ Das Rosa-Luxemburg-Zitat entstammt einer Analyse zur „Smart City“ aus dem Jahr 2015.

Intelligente Stadtentwicklungen und fehlender Wohnraum

Bei diesen intelligenten Stadtentwicklungen ist Leipzig ganz vorne dabei – technisch betrachtet im Rahmen des Verbundprojekts „Connected Urban Twins (CUT)“. Im Mittelpunkt des CUT-Projekts „steht die gemeinsame Weiterentwicklung Urbaner Digitaler Zwillinge und Urbaner Datenplattformen in den drei Partnerstädten Hamburg, Leipzig und München.“ Weiter heißt es: „Mit ihren Erfahrungen aus dem städteübergreifenden Wissenstransfer zeigen die drei CUT-Städte aber auch anderen Städten und Kommunen neue Wege in der digitalen Stadtentwicklung auf.“ Diese Informationen sind auf den Seiten des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB) zu finden, was uns zum eigentlichen Thema führt: dem Bauen und Wohnen in unseren Städten. Lange schon ein Zankapfel der Politik, stehen viel Kräne aktuell still. Hintergrund ist eine Gemengelage aus hohen Baukosten, Inflation und einer bürokratischen Regulierungswut. Für viele Bauunternehmer rentiert sich das Bauen in der aktuellen Situation nicht mehr. Der Sender ZDF schreibt: „Der Rat der Immobilienweisen kritisierte bei der Vorstellung seines Frühjahrsgutachtens unter anderem hohe staatliche Abgaben und teils unzureichende Förderangebote.“ Das war im Februar 2024. Im Beitrag zitiert das ZDF in diesem Zusammenhang den Präsidenten des Zentralen Immobilien-Ausschusses (ZIA), Andreas Mattern, mit den Worten: „Bauen ist heute faktisch unmöglich.“ Was das in Zahlen heißt, umschreibt der Sender so: Laut Frühjahrsgutachten fehlen alleine „in diesem Jahr in Deutschland rund 600.000 Wohnungen (…), im kommenden Jahr dürften es 720.000 und bis 2027 dann 830.000 sein.“ Der Bericht folgert: „Das wäre auch ein soziales Debakel.“ In der Tat. Dabei stellt sich die Frage: Hat sich dieses Debakel nicht mit einem langen Anlauf angekündigt? Denn seit Jahren warnen Experten vor einer Wohnungskrise, bieten Politiker im Baubereich Plattitüden mit immer gleichen Inhalten. Die heißen mehr Bauen, sozial und nachhaltig, digital, schneller sowie effizienter. Modewörter, mit denen sich das politische Personal gerne schmückt, viel mehr auch nicht. Im Grunde wird es so keine strikte Kehrtwende im Baubereich geben. Nun soll es der im November 2023 beschlossene „Bau-Turbo“ richten. Nach Information des BMWSB heißt das: „Bund und Länder haben sich auf einen gemeinsamen Pakt zur Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsprozessen verständigt. Der ‚Bau-Turbo-Pakt‘ wird dafür sorgen, dass für eine befristete Zeit in Orten mit hohem Bedarf schneller Bauvorhaben geplant und umgesetzt werden können.“

Ob der Turbo wirklich zündet? Die Antwort dürfte unterschiedlich ausfallen, je nachdem in welcher Region und welcher Stadt geplant und gebaut werden soll. Denn die Anforderungen differenzieren. Und das ist zunächst kein digitales, will heißen smartes Thema, sondern erfordert ein analoges Nachdenken über die Ziele des Bauens und Wohnens von heute und morgen.