Woran es hapert, verdeutlicht unter anderem folgende Zahl: Laut Redaktionsnetzwerk Deutschland fehlen bundesweit rund 630.000 Wohnungen. Nach Aussagen des Deutschen Mieterbunds braucht es hierzulande „1,5 Millionen neu gebaute Wohnungen bis 2025“. Doch diese Zahl wird schwerlich erreichbar sein, bei einer Größenordnung von jährlich 400.000 neuen Wohnungen, die von der Bundesregierung als Ziel ausgegeben wurde. So verwundert es nicht, wenn die Regierung schreibt: „Jedes Jahr 400.000 neue Wohnungen zu bauen, davon 100.000 Sozialwohnungen, sei eine große Herausforderung.“ Unter Berufung auf Bundesbauministerin Klara Geywitz führt der Beitrag an: „Ich möchte, dass wir es schaffen, in Deutschland gutes, bezahlbares und klimagerechtes Wohnen in einem lebenswerten Umfeld sicherzustellen. Ich möchte zudem, dass wir ausreichend Wohnungen bereitstellen. Wohnungen, die den demografischen wie digitalen Erfordernissen entsprechen. Aber auch Wohnungen, die den ökologischen Standards gerecht werden.“
Von der Art und Weise des Bauens
Dass es mit diesem Vorhaben des guten, bezahlbaren und vor allem klimagerechten Wohnens nicht so einfach ist, das zeigt sich nicht zuletzt in der Art und Weise des Bauens und Wohnens. So sieht das Institut für Baubiologie und Nachhaltigkeit (IBN) unser gesamtes Konzept des Bauens und Wohnens als eine der Hauptursachen überforderter Ökosysteme im globalen Maßstab. „Wenn von Umwelt- und Klimaschutz gesprochen wird, geht es fast immer um Energie, Industrie, Verkehr oder Nahrungsmittel. Jedoch gehört vor allem unsere Art und Weise des Bauens und Wohnens zu den wesentlichen Ursachen der Überbeanspruchung der globalen Ökosysteme.“ Nach IBN-Ansicht wird „häufig mit Baustoffen gebaut, die jede Menge graue Energie (Primärenergie) enthalten“. Und weiter: „Diese macht bei einem typischen Neubau inzwischen 50 Prozent des Energiebedarfs über den Lebenszyklus betrachtet aus. Darüber hinaus sind die verwendeten Baustoffe oft schlecht wiederverwendbar beziehungsweise recycelbar. So verursacht die Bau- und Abbruchbranche mehr als die Hälfte des Abfalls in Deutschland. In 2017 waren dies 53 Prozent, insgesamt 220 Millionen Tonnen.“
Lesen Sie den Titelbeitrag: „Sanieren und Bauen im Bestand: die zweite Chance“ in der gis.Business 4/2022
Schneller Abriss vor Sanierung
Hinzu kommt ein weiterer Aspekt, nämlich der oftmals zu schnelle Abriss von Gebäuden. Keine Seltenheit in Städten mit leeren Haushaltskassen, die einem massiven Strukturwandel ausgesetzt sind. Beste Beispiele liefern das sich in den letzten Jahren stark wandelnde Ruhrgebiet sowie Städte und Regionen in Ostdeutschland. Aber auch in wirtschaftlich starken Metropolen wie Frankfurt am Main oder München wird immer wieder abgerissen, statt dem Gebäude eine zweite Chance zu geben. So titelt selbst die Bayerische Staatszeitung im Februar 2021: „Mehr Bauen im Bestand“ und folgert: „Oft werden Objekte unnötig abgerissen“. Und die Staatszeitung zitiert Timo Brehme, geschäftsführender Gesellschafter des Beratungs- und Architekturunternehmens CSMM. „In der Baupraxis geben Gebäudeplaner leider noch viel zu oft dem Abriss beziehungsweise Ersatzneubau den Vorzug vor dem ökologisch viel sinnvolleren Bestandserhalt mitsamt Sanierung. Dabei liegen insbesondere hier enorme Potenziale für ressourcenschonende Einsparungen und Klimaschutz“, so T. Brehme. Für Prof. Christina Simon-Philipp, Studiendekanin Master-Studiengang Architektur und Gestaltung/Städtebau und Stadtplanung der Hochschule für Technik Stuttgart, „besteht ein Konsens, dass wir den Fokus der Stadtentwicklung auf den Bestand lenken müssen. Nur so können wir unsere Städte, unter Einhaltung der Klimaschutzziele, lebenswert halten.“
Und diesen Prozess gilt es aktiv zu gestalten, auch mithilfe der frühzeitigen Einbeziehung der Menschen in der jeweiligen Stadt. Denn nur wenn alle an einem Strang ziehen, kann weiterer bezahlbarer Wohnraum entstehen, Bestand erhalten bleiben und das vor dem Hintergrund des nachhaltigen Bauens und Wohnens. Gelingt dies, wird aus dem platten Slogan: „Wir bauen Stadt“ im Idealfall: „Wir bauen unsere Stadt“. Ein guter Gedanke ohne Gleichmacherei.