Dieser Unternehmensgeist fehlt in anderen Branchen leider in vielen Fällen. Denn trotz Leistung satt verschenkt die Zunft auch noch bares Geld bei Abnahme. Das Beispiel: der Energiesektor. Dort wird regelmäßig Strom verschenkt, an unsere Nachbarn. Jüngst konnte sich Frankreich über Gratisstrom aus Allemagne freuen und das Ganze obendrein noch bezahlt. Nein, nicht von den Franzosen, sondern von Deutschland. Wenn das mal kein Deal ist. Dass das teils harsche Kritik hervorruft, dürfte wohl dem optimistischsten Menschen klar sein. So sprach das Handelsblatt im Januar 2018 von vielen tausend Megawattstunden Strom, die „verramscht“ werden und Fokus-Online sieht verschenkte „Strom-Millionen an Frankreich“.
Nun hinkt der Vergleich mit den eingangs beschriebenen Marktschreiern insofern, als das Geschäftsmodell für Verkäufer nicht lange gut ginge und sie pleite wären. Nicht so im Energiesektor. Gefördert auf Gedeih und Verderb kommen vor allem erneuerbare Energien nicht wirklich in großen Schritten voran. Schöngeredet, hochgelobt und teils wieder heruntergedampft, so die Devise der Bundesregierung in puncto erneuerbarer Energien. Denn noch immer entfallen 60 Prozent der inländischen Energieversorgung auf Öl und Gas und damit auf die konventionelle Energieversorgung [1]. Das passt zur Aussage des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie, kurz BMWi, wonach zwei Drittel des Stroms von konventionellen Energieträgern komme. Für das BMWi steht aktuell fest: „Konventionelle Energieträger sorgen dafür, dass die Lichter anbleiben“ [2].
Der letzte macht das Licht aus
Der Digitalverband Bitkom sieht Deutschland beim Thema der Energiewende „unter erheblichem Druck, seine Stromnetze intelligenter zu machen“ [3]. Denn nach Aussagen des Umweltbundesamts steht das Ziel fest: „Spätestens 2050 soll in Deutschland mindestens 80 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien stammen. Dies ist Teil der Energiewende – einer umfassenden Klimaschutzstrategie mit dem Ziel, die deutschen Treibhausgasemissionen um 80 bis 95 Prozent gegenüber 1990 zu senken.“ Ein hehres Ziel, das das Umweltbundesamt in ihrer Publikation „Nachhaltige Stromversorgung der Zukunft“ bereits 2012 formulierte [3]. Der Weg dorthin ist allerdings steinig, wenn nicht gar unrealistisch in Bezug auf das Vorhaben. Denn die drohende deutsche „Klimaschutz-Blamage“, wie es die Frankfurter Rundschau (FR) 2017 betitelte, ist hausgemacht. So spricht die FR in ihrem Beitrag von einer Deckelung des weiteren Ökostromausbaus und „in den Sektoren Heizung/Wärme sowie Verkehr“ sogar von einer stagnierenden Energiewende [4]. Der Bundesverband Erneuerbarer Energien (BEE) sieht im Ausbau erneuerbarer Energien nur „Minischritte“. „Die Energiewende kommt in Deutschland viel zu langsam voran“, kritisiert Harald Uphoff, stellvertretender Geschäftsführer des BEE, den zögerlichen Ausbau in einer Pressemitteilung vom Juli 2017 [5]. Lobbyismus hin, Lobbyismus her. Tatsache ist, dass Deutschland einen Wandel vom Klimaschutzprimus zum eher verhaltenen Umgang mit erneuerbaren Energien und dem beherzten Weg dorthin vollzieht. Das gesteckte 18-Prozent-Ziel in puncto erneuerbarer Energien bis ins Jahr 2020 scheint nicht realisierbar. Und auch die EU schaut kritisch auf die deutsche Energiepolitik und deren vorgegeben Ziele – vor allem was die Treibhausemmissionen betrifft. Kurz um: „Die Energiewende steckt in Schwierigkeiten“, wie es Zeit Online formuliert [6]. Da bleibt aktuell nur festzuhalten: Der letzte macht das Licht aus.
Von intelligenten Lösungen und der Nachhaltigkeit
Was die Politik bisher nicht halten konnte, muss die Technik einlösen. Gemeint sind „intelligente“ Lösungen für die Energieversorgung von heute und morgen. Die Vorstellung: Mithilfe intelligenter Stromsysteme (Smart Grids) den Verbrauch reduzieren und damit die Energiewende erreichen. So heißt es beim Umweltbundesamt: „Intelligente Stromnetze (Smart-Grids) kombinieren Erzeugung, Speicherung und Verbrauch. Eine zentrale Steuerung stimmt sie optimal aufeinander ab und gleicht somit Leistungsschwankungen – insbesondere durch fluktuierende erneuerbare Energien – im Netz aus. Die Vernetzung erfolgt dabei durch den Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) sowie dezentral organisierter Energiemanagementsysteme zur Koordination der einzelnen Komponenten“ [7].
Smart Grid: in Echtzeit messen, steuern und regeln
Die Bundesnetzagentur sprach bereits 2011 von einem Smart Grid, wenn das konventionelle Elektrizitätsnetz „durch Kommunikations-, Mess-, Steuer-, Regel- und Automatisierungstechnik sowie IT-Komponenten aufgerüstet wird. Im Ergebnis bedeutet „smart“, dass Netzzustände in „Echtzeit“ erfasst werden können und Möglichkeiten zur Steuerung und Regelung der Netze bestehen, sodass die bestehende Netzkapazität tatsächlich voll genutzt werden kann“ [8]. Und die Bitkom sieht sieht die „Grundlage für den Aufbau eines Smart Grid“ zunächst in der „Digitalisierung und Übertragbarkeit von Zählerdaten“. Und weiter heißt es: „Intelligente Zähler allein machen bei weitem noch kein Smart Grid. Ein Smart Grid ohne Intelligente Zähler ist aber schwer vorstellbar, weil die Interaktion und Abrechnung im Energiesystem letztlich immer auf einer Zuordnung von Zählerwerten basiert“ [9].
Nach Ansicht des Wirtschaftsmagazins Brand eins müssen die schlauen Stromnetze den „zentralen Zielkonflikt der Energiewende meistern“. Und der heißt die Versorgungssicherheit und den Klimaschutz unter einen Hut zu bekommen [10]. Im Klartext: Die Stromerzeugung alter Tage ist passe. Wurden früher Stromnetze dafür benutzt, um den zentral in Kraftwerken erzeugten Strom zu transportieren und flächendeckend zu verteilen, herrscht heute eine dezentrale Einspeisung in das Verteilnetz.
Hinzu kommen die Schwankungen, denen die vielen Solar- und Windenergieanlagen und deren Stromproduktion unterliegen. Wichtig ist hierbei, Stromerzeugung und den Verbrauch in Einklang zu bringen. Die Bundesnetzagentur hierzu:
„Ein Smart Grid führt zu einer besseren Ausnutzung der konventionellen Netzinfrastruktur, was deren Ausbaubedarf dämpft oder die Netzstabilität bei gleicher Auslastung verbessert.“ Und weiter geht es um die Möglichkeit, „Systemzustände im Netz nachzuvollziehen und lokal einzugreifen.
Damit wird neben der Sicherstellung der Versorgung von Verbrauchern aus sowohl lokalen als auch überregionalen Quellen eine verstärkte Möglichkeit zur Aufnahme von regional erzeugtem Strom und seiner Weitergabe an übergeordnete Spannungsebenen ohne Verlust der Netzsicherheit verstanden“ [11].
Smart Grid und das Konzept der Vernetzung (Bild: fotolia_andreiodo)
Komplexitätsfalle, Hacker, Datenschutz
Bei allen Vorhaben und neuen Lösungen ist es wichtig, sowohl nachhaltig als auch wirtschaftlich zu denken. Denn laut „FIZ Karlsruhe – Leibniz-Institut für Informationsinfrastruktur“ bestehe bei der derzeitigen Wandlung des Stromnetzes hin zu einem Smart Grid die Gefahr, „in nicht nachhaltig-wirtschaftliche Szenarien zu geraten“. Das Institut nennt es die „Komplexitätsfalle“ [12]. Mit Verweis auf die Deutsche Akademie für Technikwissenschaften (acatech) verbirgt sich dahinter das Risiko, „dass zwar die Energiewende vorangetrieben werden soll, es jedoch nicht gelingt, die geeigneten technischen und ordnungsrechtlichen Rahmenbedingungen zu schaffen“. Und weiter heißt es: „Dies führt dazu, dass sich ein Smart Grid nur unzureichend ausbilden kann und sich daher der Ausbau der fluktuierenden und dezentralen Einspeisung verzögert. Das Szenario zeichnet sich durch geringe Effizienz bei hohen Kosten aus. Seine Umsetzung ist dann wahrscheinlich, wenn es nicht gelingt, eine Synchronisation der technischen und rahmenpolitischen Entwicklungen sowie der beteiligten Akteure, ein geordnetes Zusammenspiel und einen Monitoringprozess zu etablieren“ [13].
Ein solcher Prozess erscheint auch unter dem Aspekt der Datensicherheit notwendig, sind doch Energieversorger im Visier von Hackern, Saboteuren oder Terroristen. Ein Angriff auf eine solche Infrastruktur ist in Zeiten der durchgängigen Digitalisierung und Vernetzung ein lukratives Ziel für Cyberkriminelle aller Couleur. Nicht ohne Grund besteht daher seit 2015 mit dem „Schutz Kritischer Infrastrukturen“ durch das IT-Sicherheitsgesetz eine regulatorische Grundlage für Betreiber kritischer Infrastrukturen – zu denen auch Energieversorger zählen. Konkret heißt es beim Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI): „Betreiber kritischer Anlagen aus den Bereichen Energie, IT und Telekommunikation, Transport und Verkehr, Gesundheit, Wasser, Ernährung sowie Finanz- und Versicherungswesen müssen künftig ein Mindestniveau an IT-Sicherheit einhalten und erhebliche IT-Störungen an das BSI melden“ [14]. Demnach sind auch Energieversorger verpflichtet, Vorsorge in der eigenen Organisation zu treffen.
Und doch können die Gesetzesmaßnahmen und regulatorischen Vorschriften nicht darüber hinwegtäuschen, dass beim Einsatz von Smart-Grid-Lösungen erhebliche Risiken bestehen. Sei es durch gefälschte Messdaten (Trojaner), der Kommunikationsunterbrechung, einer Überlast bis hin zum Angriff auf sensible Betriebsbereiche und dem Blackout. Die modernen Versprechungen der intelligenten Welt von heute und morgen können nicht verbergen, dass viele Unternehmen nicht Schritt halten können mit dem smarten Hype.
So mangelt es an Notfallplänen, einem durchgängigen Informationssicherheits- und Risikomanagement oder es werden schlicht Systemupdates nicht regelmäßig durchgeführt. Zudem werden veraltete Lösungen zur Virenabwehr eingesetzt und Sicherheitstests nicht regelmäßig und in der erforderlichen Güte durchgeführt. Und am Ende muss auch die notwenige Sensibilisierung aller Mitarbeiter in den Gesamtprozess des Schutzes und der Resilienz gegen mögliche Angriffe einfließen. Davon sprechen Unternehmen viel in ihren Geschäfts- und Risikoberichten – bei der konkreten Umsetzung hapert es allerdings allzu oft.
Zweifelhafter Datenschutz in Zeiten intelligenter Stromzähle (Bild: fotolia_Zerbor)
Hinzu kommt die stärkere Vernetzung von Privathaushalten mithilfe intelligenter Stromzähler sowie selbstlernender und technisch hochvernetzten Mess-, Fernsteuerungs- und Überwachungsmöglichkeiten. Diese digitale Durchdringung des persönlichen Umfelds durch Unternehmen ist strategisch in den Chefetagen der großen Smart-Lösungs-Anbieter und vonseiten der Digitalkonzerne gewollt. Schließlich galt das eigene Wohnzimmer oder die Küche bis vor Kurzem als Tabu und so gut wie einzig weißen Fleck im Tun des fast vollständig mess- und überwachbaren Menschen der „smarten Ausprägung“. Das ändert sich zusehends, auch mit Blick auf das ausufernde Sammeln und Auswerten (personenbezogener) Daten durch Unternehmen. Deutschlandfunk schrieb hierzu in einem Beitrag zu „Ohne abgesicherte Infrastruktur kommt das Desaster“ aus dem Jahr 2016: „Verbraucherschützer kritisieren deshalb, dass die Stromversorger damit regelrechte Persönlichkeitsprofile ihrer Kunden erhalten.“ Und der Artikel folgert: „Denn, wer den intelligenten Stromzähler beherrscht, der ist nicht nur Herr im smarten Haus, sondern er kann auch das Stromnetz manipulieren“ [15]. Und nicht nur das in Zeiten intelligenter Stromnetze.
Quellen:
[1] https://ag-energiebilanzen.de/index.php?article_id=29&fileName=ageb_pressedienst_05_2017.pdf
[2] https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Dossier/konventionelle-energietraeger.html
[3] https://www.bitkom.org/Themen/Digitale-Transformation-Branchen/Smart-Grids-Energiepolitik/FAQ-2/
[4] https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/publikation/long/4350.pdf
[5] http://www.fr.de/wirtschaft/energiewende-deutschland-droht-klimaschutz-blamage-a-1264499
[8] https://www.umweltbundesamt.de/service/uba-fragen/was-ist-ein-smart-grid
[9] https://www.bitkom.org/Themen/Digitale-Transformation-Branchen/Smart-Grids-Energiepolitik/FAQ-2/
[12] http://forschung-stromnetze.info/projekte/offene-kommunikationsplattform-fuer-verteilnetzbetreiber/
[13] http://www.acatech.de/e-energy
[15] www.deutschlandfunk.de/datenschutz-im-smart-home-ohne-abgesicherte-infrastruktur.684.de.html