Wissenschaft & Forschung

„E-Mobilität und Ladeinfrastruktur werden im gewerblichen und industriellen Kontext eine maßgebliche Rolle spielen“

Im Interview: Dr. Dirk Pietruschka, Leiter des Zentrums für nachhaltige Energietechnik – zafh.net, Hochschule für Technik Stuttgart (HFT Stuttgart).

Elektromobilität und die dafür erforderliche Ladeinfrastruktur: zwei, die sich ergänzen (müssen). Bild: stock.adobe.com (Have a nice day)

„Das Ziel der Energiewende ist es, die Energieversorgung auf erneuerbare Energien umzustellen – beim Stromsektor, aber auch bei Wärme und bei Verkehr. Im Stromsektor gilt es, die sichere Versorgung weiter zu erhalten und Strom bezahlbar zu halten.“ So schreibt es die Bundesregierung auf ihren Internetseiten. Darin stecken gleich drei Herausforderungen: Energiewende, die sichere Versorgung und bezahlbaren Strom. Während die Politik seit Jahren über das wie diskutiert, zeigt die Wissenschaft neue Wege auf – in Theorie und vor allem Praxis. Wir sprachen mit Dr. Dirk Pietruschka von der HFT Stuttgart über neue Technologieansätze, die konkrete Forschung und den Handlungsbedarf mit Blick auf die Infrastruktur.

Herr Dr. Pietruschka: Welchen Wertbeitrag kann die Wissenschaft auf dem Weg zu einer nachhaltigen Energiewende leisten?

Die Wissenschaft kann neue Technologieansätze aufgreifen oder neu entwickeln beziehungsweise weiterentwickeln und in Demonstrationsprojekten ersten Praxistests unterziehen. Durch diese Demonstrationsprojekte entstehen Referenzen. Diese zeigen, dass die entwickelten Technologien funktionieren. Sie zeigen zusätzlich auf, wo Weiterentwicklungsbedarf besteht, um die jeweilige Technologie verlässlich, marktreif und wirtschaftlich zu gestalten. Außerdem können Förderbedarfe aufgezeigt werden, um neue Technologien in den Markt zu bringen, die dann durch Erfahrungszuwachs und Skalierungseffekte mittelfristig auch ohne Förderung wirtschaftlich attraktiv werden.

Haben Sie ein Beispiel aus dem Energiesektor?

Die Photovoltaik-Förderung durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz, kurz EEG, ist ein schönes Beispiel, wie Skalierungseffekte durch Förderung angestoßen werden können, um Systemkosten deutlich zu reduzieren. Für uns als Hochschule für Technik Stuttgart ist ein schönes Beispiel die mit kalter Nahwärme und Geothermie-Kollektoren umgesetzte Plusenergiesiedlung in Wüstenrot. Diese Umsetzung erfolgte im Rahmen des vom BMWi geförderten Projekts „ENVISAGE“. Das dort umgesetzte kalte Nahwärmenetz war eines der ersten in Deutschland und das erste mit Agrothermiekollektor.

Woran forschen Sie aktuell mit Blick auf das Thema eines nachhaltigen Energieeinsatzes?

Aktuell beschäftigen wir uns sehr intensiv mit der intelligenten Steuerung von vernetzten Energiesystemen, um den Energiebedarf durch vorausschauende Regelung besser an die erneuerbare Erzeugung anzugleichen. Ein Thema, das uns besonders interessiert, ist die Elektromobilität und die dafür erforderliche Ladeinfrastruktur. Wie sich der schnelle Zuwachs an Elektrofahrzeugen, vor allem im ländlichen Raum, auf die Netze auswirkt, ist bis dato nicht im Detail erforscht. In unserem vom BMWi geförderten Forschungsprojekt Smart2Charge untersuchen wir genau das am Beispiel der Gemeinde Wüstenrot im Landkreis Heilbronn in sehr detaillierten Simulationsstudien.

Bestehen Verzahnungsmöglichkeiten mit weiteren Projekten und Praxisanwendungen, um stärker zu einem Gesamtkonzept zu gelangen?

Zur Verzahnung gibt es grundsätzlich viele Möglichkeiten. Im Projekt SmartEPark schauen wir uns die Möglichkeiten auf Parkhausebene in Schwäbisch Hall mit 108 Ladepunkten an und analysieren, wie ein vorausschauendes Lastmanagement mit Prognosen zur Parkhausbelegung funktionieren kann und welchen Beitrag das Parkhaus zur Stabilisierung des vorgelagerten Stromnetzes durch eine Anbindung an die Leittechnik der Stadtwerke Schwäbisch Hall bieten kann. Gleichzeitig analysieren wir anhand der Liegenschaft der Robert Bosch GmbH in Schwieberdingen, wie sich die Ladeinfrastruktur im Bereich der Mitarbeiterparkplätze auf den Energiehaushalt und die Lastspitzen auswirken.E-Mobilität und Ladeinfrastruktur werden im gewerblichen und industriellen Kontext eine maßgebliche Rolle spielen. Generell ist es extrem wichtig, dass für die Beladung von Elektrofahrzeugen erneuerbarer Strom zum Einsatz kommt, da die Elektrofahrzeuge nur dann ökologisch wirklich besser sind als Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor.

Was sollte Ihrer Meinung dringend stärker in den Mittelpunkt der Forschung rücken, damit die Energiewende als Ganzes gelingt?

Für die rasch anwachsende Anzahl an Elektrofahrzeugen und der damit verbundenen Ladeinfrastruktur gibt es auf der Niederspannungswerteilnetzebene noch keine klaren Strategien, wie eine Überlastung der Systeme verhindert werden kann. Hier wird eine Kommunikation zwischen Verteilnetzbetreiber und den Ladelastmanagementsystemen in den verteilten Liegenschaften und Gebäuden erforderlich. Dafür müssen auch Prognosemodelle geschaffen und Messtechnikkonzepte entwickelt werden, über die Verteilnetzbetreiber vorausschauend wissen, was wann auf der Nieder- und Mittelspannungsebene an Last anfallen wird. Eine Ausweitung der Messtechnik im Niederspannungsnetz ermöglicht es, Überlastungen sofort zu erkennen und Gegenmaßnahmen über die angebundenen Ladelastmanagementsysteme einzuleiten. Ohne solche Lösungen wird jedes Ladelastmanagementsystem für sich versuchen, die maximale Leistungsfähigkeit des Netzanschlusses des jeweiligen Gebäudes auszunutzen. So könnten hohe Gleichzeitigkeiten in der Maximallast entstehen, die so nicht eingeplant wurden und damit zu Netzüberlastungen führen können. Hier ist dringender Forschungs- und Handlungsbedarf gegeben, um die Infrastruktur rechtzeitig auf den Wandel durch die Elektromobilität vorzubereiten.


Dr. Dirk Pietruschka, Hochschule für Technik Stuttgart (HFT Stuttgart). Bild: privat


 

 

 

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