Der Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt sagte einmal: "Was alle angeht, können nur alle lösen. Jeder Versuch eines Einzelnen oder einer Gruppe, für sich zu lösen, was alle angeht, muss scheitern." Dieses Zitat umreißt im Grunde das, was in einem Pressegespräch im Rahmen der Wissenschaftswoche "Intelligente Stadt" am 14.09.21 an der Hochschule für Technik (HFT Stuttgart) als eine Art Grundrauschen in allen Themen- und Fragestellungen präsent war. Nämlich der Wandel der Städte hin zu intelligenten, modernen und zugleich lebensfreundlichen Räumen wird nur mit den Bürgern gelingen. Oder wie es Dr. Christina Simon-Philipp, Professorin für Stadtplanung und Städtebau an der HFT Stuttgart, formuliert: „Eine intelligente Stadt ist nachhaltig und lebenswert für die Menschen. Eine rein technische Lösung führt nicht zur intelligenten Stadt.“
Ganzheitliche Betrachtung für gemeinsame Lösungen
Prof. Dr. C. Simon-Philipp spricht sich für eine ganzheitliche Betrachtung aus, die technische, soziale, ökologische und wirtschaftliche Aspekte integriert. „Wir müssen uns mehr Gedanken darüber machen, wie wir Menschen miteinbeziehen und wie wir mit ihnen vor Ort gemeinsam Lösungen entwickeln“, so Prof. Dr. Simon-Philipp. Sie verweist auf Projekte der HFT Stuttgart, in denen mit den Bürgern gemeinsam neue Formen der Mobilität und des Zusammenlebens gedacht und neue Konzepte ausprobiert werden. In sogenannten Reallaboren, zum Beispiel in der Innenstadt von Geislingen, in Zuffenhausen-Rot, in Stuttgart-Vaihingen und am Nordbahnhof in Stuttgart. Für die Transformation hin zu einer CO2-neutralen Umgebung seien viele Innovationen nötig – aber auch neue Lebensweisen und ein anderer Umgang mit den Ressourcen.
Transformation im Quartier: vom nachhaltigen und bezahlbaren Wohnraum
„Das Thema Partizipation ist schon sehr lange in unserem Fokus“, unterstreicht Dr. Dirk Pietruschka, Institutsleiter des Zentrums für Nachhaltige Energietechnik (zafh.net) an der HFT Stuttgart. Und er ergänzt: „Wir haben verstanden, dass es kaum etwas bringt, Technologien zu entwickeln, die von den Menschen nicht akzeptiert werden." Damit zielt Dr. D. Pietruschka auf die Tatsache ab, dass Technologie kein reiner Selbstzweck sein darf.
Wie kann Wohnraum nachhaltig gebaut werden und bezahlbar bleiben? Als Beispiel nennt Dr. D. Pietruschka die Keltersiedlung in Stuttgart. Die Forschenden arbeiteten hier eng mit dem Bauträger, der Stuttgarter Städte- und Wohnungsbaugenossenschaft (SWSG) zusammen. Ein von der HFT Stuttgart im Projekt „iCity“ entwickeltes digitales Tool diente als Entscheidungsgrundlage für den Bau. Mit dem Tool "SimStadt" können verschiedene Szenarien – für unterschiedlich große Geldbeutel modelliert werden, um ein Quartier klimafreundlich zu entwickeln. Wichtig sei es, die lokalen Gegebenheiten zu berücksichtigen, betont Dr. D. Pietruschka. In der Keltersiedlung war dies etwa ein bestehender Abwasserkanal, dessen natürlich verfügbares Wasser zum Kühlen und Heizen verwendet werden kann. Diese Lösung könne dann nach Ansicht zafh.net-Institutsleisters mit anderen lokalen Energie-Systemen vernetzt werden, wie Fotovoltaik oder einem Blockheizkraftwerk. Der positive Effekt für den Geldbeutel der Mieterinnen und Mieter: Der so effizient erzeugte Strom könne nach Dr. D. Pietruschkas Worten zu deutlich günstigeren Konditionen an sie verkauft werden, was die Nebenkosten reduziere.
Transformation auf der Straße ...
200 000 Autos fahren jeden Tag in den Stuttgarter Kessel hinein, die im Schnitt nur mit 1,2 Personen besetzt sind, erläutert Prof. Dr. Lutz Gaspers, Prorektor Studium und Lehre, Leitung Kompetenzzentrum Mobilität und Verkehr (MoVe). Ein intelligenter Ansatz würde zwar den Besetzungsgrad der Fahrzeuge erhöhen, um die Anzahl der Fahrzeuge zu halbieren. Dies sei aber seiner Meinung nach nicht so einfach, weil viele Leute im Umland wohnten und nach Stuttgart zur Arbeit pendelten. „Die Menschen fahren nach Stuttgart mit den PKW, weil sie oft keine Alternative haben“, betont Prof. Dr. L. Gaspers. Ganz im Gegenteil zur Innenstadt. Dort müssten effizientere Verkehrsmittel als Pkws gefördert werden. Und er fügt an: "Eine Wegekette, die mit dem Auto im Umland beginnt, sei schwieriger aufzubrechen." Was es braucht? Nach Aussagen des Mobilitäts- und Verkehrsexperten müsse es akzeptable Lösungen für den Umstieg geben, die von den Menschen auch akzeptierten.
... und durch die Digitalisierung
Partizipation spielt auch im Bereich der Digitalisierung eine große Rolle – so unter anderem mithilfe von 3D-Stadtmodellen. „Je mehr Informationen wir den Bürgern zur Verfügung stellen können, desto informierter und zielgerichteter können sie mitentscheiden“, betonte der Geoinformatiker Prof. Dr. Volker Coors, Direktor des Instituts für angewandte Forschung (IAF) an der HFT Stuttgart. Als Beispiel führt er Messungen zur Luftqualität an, die von Bürgern selbst durchgeführt wurden. So entwickelte dieses Citizen-Science-Netzwerk einen preisgünstigen Sensor für den Eigenbau, mit dem jeder Anwohner Daten zum Feinstaub erheben, messen und beobachten kann. Dieser Sensor werde nach Prof. Dr. V. Coors Informationen inzwischen weltweit eingesetzt. Ein weiteres Beispiel des Einsatzes solcher Partizipationsmöglichkeiten mithilfe der Digitalisierung ist die Zusammenarbeit mit der Stadt Stuttgart (Ortsteil Weilimdorf) im Bereich des städtischen Beteiligungsverfahrens zur Stadtentwicklung.
Und auch die Wirtschaft kommt bei den Überlegungen der HFT Stuttgart nicht zu kurz. So konnten Forscher der HFT Stuttgart den Industriestandort bei Bosch in Schwieberdingen energetisch optimieren. Dr. D. Pietruschka verweist mit Blick auf Bosch-Schwieberdingen auf die Herausforderung, Systeme so miteinander zu vernetzen, dass Synergien entstünden. Der Schlüssel zur CO2-Neutralität sei seiner Meinung nach auch ein automatisiertes und zugleich intelligentes Datenmanagement.
Abschließend "zeichnete" Prof. Dr. C. Simon-Philipp ein positives Zukunftsbild einer resilienten, nachhaltigen und lebenswerten Stadt. Ihrer Anschicht nach könnten die Forschenden an der HFT Stuttgart hierzu viele Ideen einbringen und neue Impulse setzen.