Digitales Feld, analoge Risiken

Andreas Eicher

Wir schreiben das Jahr 2030. Drei Großkonzerne beherrschen den weltweiten Agrarmarkt. Sie beliefern 95 Prozent der globalen Märkte mit Saatgut, Düngemitteln und Pestiziden. Ihre Landmaschinen und digitalen Helfer sind auf allen Äckern dieser Welt unterwegs. Die Landwirte sind stets auf dem aktuellen Stand dank Roboter, Drohne & Co. – von der Aussaat bis zur Ernte. Immer verbunden mit den Rechenzentren der großen Drei, bleibt diesen nichts verborgen.

Die Zukunft der digitalen Agrarwirtschaft hat längst begonnen (Bild: stock.adobe.com_sodawhiskey)

Die Zukunft der digitalen Agrarwirtschaft hat längst begonnen (Bild: stock.adobe.com_sodawhiskey)

Jede Fahrt, jedes Bestellen des Felds, jede Ernte wird exakt vorhergesagt – dank Algorithmen und moderner Analyseverfahren. Ernteausfälle gibt es keine mehr, Hungernöte gehören der Vergangenheit an und die Futtermittelproduktion läuft wie ein Uhrwerk. Im Supermarkt ist die Auswahl begrenzt auf wenige Erzeugnisse. Der Konsument hat nicht mehr die Qual der Wahl, sondern angepasste Produkte im überschaubaren Umfang. Im Grunde läuft alles glatt in einer Agrarwirtschaft mit resistenten und Gen-optimierten Pflanzen. Drei spielen Gott für alle und die Kassen klingeln.

Spielverderber, Lobbygruppen und die Politik

Keine Angst. Das alles ist nur Science Fiction. Kritiker solcher Szenarien würden es Schwarzmalerei nennen. Wir Journalisten und Redakteure sehen die Welt einfach zu pessimistisch. Schreiberlinge neigen dazu, immer das Haar in der Suppe zu suchen. Sie machen sich zu viele Gedanken, sind zu philosophisch, wo es für die Industrie und deren Wegbereiter aus der Politik scheinbar keine Bedenken gibt. So schallt es rüber aus den digitalen Konzernzentralen: „Kauft und glaubt uns.“ Und: „Komm, seid keine Spielverderber. Die Welt ist nicht so schlimm, der Klimawandel und die Apokalypse müssen warten. Das Feld ist bestellt.“ Doch für wen?

Ja, das frage ich mich in unseren Zeiten permanent. Der Platzhalter des digitalen Treibens hat unter dem Deckmantel von „smart“, „intelligent“ und „vernetzt“ alle (Lebens-)Bereiche besetzt, den digitalen Landwirt nicht ausgenommen. Wenige Unternehmen bestimmen den lukrativen Markt der digitalen Landwirtschaft.


Marktanteile der TOP-5-Unternehmen in den Bereichen Saatgut, Agrarchemie, Düngemittel und Landmaschinen (Bild: ETC Group)


Die Politik, beeinflusst durch Lobbygruppen und Verbänden, scheint zu oft über Fleischskandale, Nitratbelastungen und Glyphosat-Warnungen hinwegzusehen. Im Sommer 2017 kritisierte Martin Rücker, Geschäftsführer der Verbraucherorganisation Foodwatch, im Gespräch mit Deutschlandfunk Kultur den fast legendären Einfluss des Bauernverbands auf die Politik. Dieser habe „unter der Führung von Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner noch zugenommen“. „Der Foodwatch-Vertreter kritisierte, dass sich die Landwirtschaft trotz der verbreiteten Kritik an ihren Praktiken zu wenig verändere. Themen wie die Verantwortung der Landwirtschaft für den Klimaschutz oder die Tierhaltung würden dadurch vernachlässigt (…)“, so der Beitrag [1]. Und Dr. Dirk Zimmermann von Greenpeace sieht das Landwirtschaftsministerium viel zu oft als verlängerten Arm der Agrarchemie-Lobby.


» Lesen Sie das Interview mit Dr. Dirk Zimmermann von Greenpeace in der aktuellen Ausgabe 02/2019 der gis.Business


Damit scheint die zunehmende Digitalisierung der Landwirtschaft mithilfe von Satelliten, Sensoren, Drohnen und Robotern, geplante Sache. Bindeglied sind Geoinformationen, Mittler und Treiber die Politik sowie Wirtschaft und Wissenschaft im Verbund mit Lobbygruppen, wie dem Bauernverband oder dem Digitalverband Bitkom. Im Grunde üben sich fast alle Beteiligten im Schulterschluss, um die „Landwirtschaft 4.0“ zum Wachsen zu bringen. Bewässert von politischen Initiativen, hat beispielsweise das BMEL „im Februar 2016 ein 12-Punkte-Programm zur Digitalisierung der Landwirtschaft aufgesetzt“. Darin geht es um das Etablieren einer Gesprächsplattform über die Forschungsförderung und Standards bis zum Bürokratieabbau und dem Ausbau der digitalen Infrastruktur [2]. Ja, kann man machen. Das ist aber im Grunde nichts Neues hierzulande. Denn Gesprächs- oder Arbeitskreise sind gerne willkommen, wenn man nicht weiterweis. Und das mit dem Abbau der Bürokratie ist auch so eine Sache, geschweige denn vom Ausbau digitaler Infrastrukturen zu träumen.

Im Grunde sind diese Schlagwörter austauschbar und auf alle Bundesministerien und Bereiche übertragbar. Wenigstens bei der Wissenschaft sind positive Signale zu erkennen. So hat die EU nach eigenen Aussagen „modernste Forschungsvorhaben und Innovationen in Form einer Reihe spannender Lösungen unterstützt, die alle Möglichkeiten dessen nutzen werden, was die wahre landwirtschaftliche Revolution des 21. Jahrhunderts zu werden verspricht“ [3].

Forschung und Wissen

Heruntergebrochen auf reale Projekte im Bereich der Forschung und des Wissens beteiligt sich Disy aktuell an zwei Projekten zur Digitalisierung der Landwirtschaft. „In beiden Projekten arbeitet Disy als Spezialist für Management und Analyse von Geodaten an Fragen der effizienten, cloudbasierten Zusammenführung und intelligenten Auswertung von Sensor- und Maschinendaten, Karten und Nutzereingaben, der Multisensorfusion und der benutzerfreundlichen Schnittstellen“, heißt es in einer Presseverlautbarung. Eine zentrale Rolle spielen laut Disy Satelliten- und Wetterdaten. Und weiter heißt es: „Es kommen sowohl klassische Methoden der Geoinformatik und des Geo-Data-Warehousing zum Einsatz als auch modernste Big-Data-Werkzeuge wie Docker und Rancher für die containerbasierte Virtualisierung“ [4].

An der Universität des Saarlandes forschten Wissenschaftler bis Ende Februar 2019 an der herstellerübergreifenden „Vernetzung von Maschinen im landwirtschaftlichen Pflanzenbau mithilfe einer Service-Plattform“. Das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) geförderte Projekt soll eine erhöhte Produktivität der landwirtschaftlichen Pflanzenproduktion ermöglichen und „gleichzeitig eine Reduzierung des Ressourcenverbrauchs (Saatgut, Düngemittel, Energie)“ realisieren [5].

Damit die Ansätze aus Forschungsprojekten stärker in den Regelbetreib einfließen können, ist das Wissen um die Anwendung neuer Lösungen wichtig. Denn ohne Knowhow-Transfer kein digitaler Transfer und keine digitale Landwirtschaft. Das betrifft sowohl den Umgang Geoinformationen, der dahinterliegenden Software sowie der Hardware – in diesem Fall immer komplexeren Maschinen.

Mit Blick auf das Bedienen von Maschinen bringt es Prof. Patrick Ole Noack auf folgenden Punkt: „Durch die zunehmende Größe und die zunehmenden Arbeitsbreiten erfordert der effiziente Einsatz von Maschinen immer mehr Erfahrung, Können und Wissen und erhöht somit die Wahrscheinlichkeit, dass Bediener (zeitweilig) überfordert sind.“ Und er ergänzt: „Diese Situation wird durch den ‚Fachkräftemangel‘ auf landwirtschaftlichen Betrieben und in Lohnunternehmen noch verschärft“ [6].

Einen umfassenden Ansatz zur Aus- und Weiterbildung bietet die Hochschule Ostwestfalen-Lippe mit den Studiengang Precision Farming. Die Studieninhalte am Standort in Höxter beinhalten die Bereiche Agrarwissenschaften, Informatik und Digitalisierung, sowie Mechatronik, Automatisierung und Umweltinformationssysteme [7].

Von Gewinnern und Verlieren

„The winner takes it all“ sang ABBA in den 1980er-Jahren. Welche Weitsicht. Fast 40 Jahre später hat sich der Refrain manifestiert, zumindest mit Blick auf die Agrarlobby. Wenige große Agrarunternehmen haben den Markt längst unter sich aufgeteilt. Der Öffentlichkeit verkauft Julia Klöckner, Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft, kurz BMEL, die Ernährungs-, Forst- und Landwirtschaft als hochmodern und digital. Und weiter: „Viele unserer Bauern sind zu Vorreitern in der Digitalisierung geworden.“ J. Klöckner schließt einige Beispiele an: „Im digitalen Stall werden der Gesundheitszustand und die Milchqualität überwacht und dem Bauer aufs Handy geschickt. Autonomes Fahren, das im allgemeinen Straßenverkehr noch in den Kinderschuhen steckt, ist in der Landwirtschaft bereits Alltag. Dünger und Pflanzenschutzmittel werden durch Präzisionslandwirtschaft genauer, sparsamer verwendet. Und nicht zuletzt: Die moderne, digitale Landwirtschaft ist auch ein attraktives Berufsfeld“ [8].

Doch wehe dem Landwirt, der nicht an die digitale Agrarwelt angeschlossen ist. Denn dort, wo analoges Dunkelland herrscht, wo es keinen Breitbandausbau gibt oder nur einen Balken im Empfang von Smartphone und Tablet, ist vielfach digitale Tristesse angesagt. In diesen Ecken der Republik ist Schluss mit lustig und einer digital gesteuerten Landwirtschaft. Wer hier den Anschluss nicht schafft und von der Politik im Stich gelassen wird, gerät schnell auf die Verliererstraße.

Nicht zu vergessen die Situation für die meisten Bauern in ärmeren Regionen dieser Welt. Entweder von multinationalen Agrarkonzernen vom Land verdrängt oder nicht in der Lage, dem digitalen Ackerbau zu folgen, müssen diese Tag für Tag um das Überleben kämpfen. Dies alles wird noch befeuert durch Agrarsubventionen aus den reichen Industrienationen. So schreibt die Deutsche Welle (DW) in einem Beitrag aus dem vergangenen Jahr: „Agrarsubventionen sind nicht nur in Europa gängige Praxis. Nach Angaben der OECD subventionieren Nordamerika, Europa, Japan und China ihre Landwirtschaften täglich mit über einer Milliarde Dollar.“ Dem Beitrag folgend kassieren Bauern und Agrarkonzerne in Europa die höchsten Subventionen. „Deren Überschüsse landen billig auf den afrikanischen Märkten (…)“, erklärt Entwicklungsökonom Robert Kappel gegenüber DW. Das geht soweit, dass 80 Prozent des Nahrungsmittelverbrauchs in Afrika inzwischen durch Nahrungsmittelimporte zustande komme [9]. Schaut man genauer hin, so ist das eingangs beschriebene Science-Fiction-Szenario gar nicht so weit entfernt. Auf alle Fälle scheint der Weg des digitalen Feldes geebnet, gepflastert mit analogen Risiken.


Quellen:

[1] https://www.deutschlandfunkkultur.de/foodwatch-zum-duerre-gipfel-politik-gegen-die-interessen.1008.de.html?dram:article_id=424247

[2] https://www.bmel.de/DE/Landwirtschaft/_Texte/Digitalisierung-Landwirtschaft.html#doc8627844bodyText2

[3] https://cordis.europa.eu/article/id/400295-precision-farming-sowing-the-seeds-of-a-new-agricultural-revolution/de

[4] https://www.disy.net/de/unternehmen/presse/presse-2019/software-soll-duengemitteleinsatz-optimieren

[5] http://iss.uni-saarland.de/de/projects/smart-farming/

[6] Noack, Patrick Ole: Precision Farming – Smart Farming – Digital Farming. Grundlagen und Anwendungsfelder. Berlin/Offenbach: Wichmann Verlag, 2019.

[7] https://www.hs-owl.de/fb8/studiengaenge/ba-precisionfarming/studieninhalte.html

[8] https://www.bmel.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/2018/047-Digitalisierung.html

[9] https://www.dw.com/de/afrikapolitik-made-in-germany-fair-geht-anders/a-45084675