Von analogen und digitalen Möglichkeiten in Zeiten des Massentourismus

Andreas Eicher

Rund eine Autostunde von Barcelona entfernt, liegt Lloret de Mar an der Costa Brava. Ein Urlaubsort – bekannt für einen über Jahrzehnte gewachsenen Massen- und Partytourismus. Einst ein verschlafenes Fischerdorf, zeugen heute noch die alten Seilwinden zum Transport der Schiffe an der Promenade vom Fischfang bis in die Mitte der 1970er-Jahre. Vom Fischfang lebt heute keiner mehr in der rund 39.000 Einwohner zählenden Stadt, die zur Provinz Girona gehört. Denn mit dem anschwellenden Billigtourismus hat sich der Charakter der Stadt in den letzten Jahrzehnten merklich verändert. Das ganze Zentrum scheint einzig auf Touristen ausgerichtet. Zeugen davon sind die unzähligen Läden, vollgestopft mit Billigprodukten und Kitsch, den Touristenkneipen, Tattoo-Studios und Agenturen für Partyfahrten auf dem Meer. Bis zu einer Million Besucher halten sich pro Hochsaison in Lloret de Mar auf. Und die wollen übernachten, was unschwer an den unzähligen Hotelburgen in und um die Stadt herum zu erkennen ist.

Auch das ist Lloret de Mar: ein zugemauertes Wohnhaus in der Altstadt. Bild: Andreas Eicher

Doch von diesem Boom mit dem scheinbar nicht enden wollenden Touristenstrom profitieren längst nicht alle in der Stadt. So schreibt die spanische Online-Zeitung „El diario“, dass Lloret de Mar zu den Städten mit dem niedrigsten Familieneinkommen in Katalonien zählt. Die Zeitung bringt es auf folgendes Zahlenbeispiel: „Das verfügbare Haushaltseinkommen pro Einwohner von Lloret de Mar liegt bei 10.900 Euro im Jahr und damit 36 Prozent unter dem katalanischen Durchschnitt von 17.000 Euro (…)“. Hauptprofiteure des Touristenbooms dürften wie so oft die großen Hotel- und Gastronomieketten oder wenige alteingesessene Tourismusbetriebe sein. Im Grunde zeigt sich an der Infrastruktur des Orts, dass die Verantwortlichen seit Jahrzehnten voll und ganz auf einen wenig nachhaltigen Tourismus setzen.

Bürgerkampagnen und der analoge Prozess

Nicht umsonst kommt eine Analyse der Universitat de Girona (Máster Tesis del programa en Dirección y Planificación del Turismeaus) aus den Jahren 2012 bis 2013 zu dem Schluss, dass über 48 Prozent der Besucher von Lloret de Mar das Nachtleben und fast 42 Prozent Sonne und Stand als Motive für einen Besuch angaben. Daran scheint sich seither wenig geändert zu haben – mit Folgen im sozialen und ökologischen Umfeld. Denn zu den bereits beschriebenen sozialen Folgen eines niedrigen Haushaltseinkommens gesellen sich Lärmbelästigung und die Verschmutzung der Strände. Um den steigenden Herausforderungen von Einwohnern und Besuchern gerecht zu werden, haben die Stadtverantwortlichen von Lloret de Mar unterschiedliche Bürgerkampagnen ins Leben gerufen. Auf den dazugehörigen Seiten heißt es hierzu: „Diese Kampagnen sollen das Verhältnis zwischen den Einheimischen und Touristen fördern und verbessern.“ Und weiter: „Beide Gruppen werden in ein gemeinschaftliches Projekt einbezogen, bei dem Respekt und Gemeinschaftssinn aus einer positiven und einander zugewandten Perspektive herausgebildet werden und sich alle aktiv beteiligen können. Die Kampagnen behandeln Themen wie Zusammenleben, Lärm und Recycling.“ Im Rahmen der Kampagnen zeigt sich, dass es nicht zwingend digitale Lösungen braucht, um zunächst einen Grundkonsens zwischen unterschiedlichen Gruppen zu erzielen. Gerade in einem sensiblen Bereich wie dem Tourismus braucht es klare und vor allem neue Konzepte. Die entstehen im gemeinsamen Austausch, in der Interaktion aller Beteiligten. Nur so lassen sich neue Wege für einen nachhaltigen Tourismus finden – im Austausch von Bürgern, der Wirtschaft und den Touristen.

Eine Stadt auf der Suche nach ihrem Gleichgewicht – auch mittels Überwachung

In dieser Hinsicht nimmt sich Amsterdam mit seinen touristischen Hotspots nicht viel im Vergleich mit Lloret de Mar und anderen Großstädten inmitten eines ausufernden Tourismus. Gleichzeitig ist die Kritik laut aufgrund der touristischen Verhältnisse in der eine Million Einwohner zählenden Stadt. Overtourism (Übertourismus) lautet das Stichwort. Um der „Besucherschwemme“ zu begegnen, verabschiedete der Stadtrat Amsterdams bereits im Jahr 2021 die Verordnung „Tourismus in Balance Amsterdam“ (Toerisme in balans Amsterdam). Diese Verordnung legt eine Obergrenze für die Zahl der touristischen Aufenthalte und Tagesbesuche in der Stadt fest. Laut Stadt Amsterdam heißt das: „Die Höchstgrenze liegt bei 20 Millionen Besuchern pro Jahr.“ Und weiter: „Die Stadtverwaltung muss eingreifen, wenn mehr als 18 Millionen Besucher nach Amsterdam kommen.“ Das Ganze beruht auf dem Programm der „Stadt im Gleichgewicht“ (Stad in Balans). Dabei geht es um die Besucherentwicklung Amsterdams, Szenarien und darum, wie tragfähig die einzelnen Bezirke der Stadt im Zuge des Tourismus zukünftig sind. Eine Erkenntnis: Die Bewohner nehmen in bestimmten Stadtteilen mehr Gedränge durch den Tourismus wahr. Ein Wunsch: „Die Stadtverwaltung könnte mehr tun, um gegen die Vermietung von Ferienwohnungen vorzugehen und um Menschenmassen in der Stadt zu bewältigen.“ Das ganze touristische Treiben ist auf den ersten Blick ein zutiefst analoger Prozess in einer Stadt auf der Suche nach ihrem Gleichgewicht. Bei einem genaueren Blick zeigt sich, dass digitale Prozesse durchaus helfen können, um Amsterdam als Besuchermagnet, aber auch für die Bewohner zukunftsfähiger zu gestalten. Beispielsweise setzt die Verwaltung im Verbund mit dem Smart-City-Unternehmen „Tapp“ auf digitale Lösungen und erforscht neue Ansätze, um Technologien im Sinne der Stadt-Mensch-Beziehung sinnstiftend einzusetzen.


Einen ausführlichen Beitrag zu Amsterdam finden Sie in der gis.Business 5/2023 unter dem Titel: „Nah am Wasser gebaut“.


Im Projekt Public Eye werden Menschenansammlungen überwacht, um vorherzusagen, wie und wohin sich Menschenmengen bewegen werden. Das Unternehmen schreibt hierzu auf seinen Seiten: „Public Eye ist ein Algorithmus zur Zählung der Größe, Dichte, Richtung und Geschwindigkeit von Menschenmengen im öffentlichen Raum.“ Basis ist eine Open-Source-Software, die laut Tapp für jeden kommunalen Innovator frei verfügbar ist. Dabei werden städtische Kameras zur Erfassung, Speicherung, Verarbeitung und Weitergabe von Echtzeitdaten über Menschenmengen im öffentlichen Raum genutzt. Und weiter heißt es: „Behördenmitarbeiter können Datensätze aus Kameraströmen erstellen, neuronale Netze trainieren und die trainierten Netze auf Kameras anwenden.“ Die Internetseiten der Stadt führen hierzu an: „Das Crowd Monitoring System Amsterdam (CMSA) ist ein Überwachungssystem mit Zählkameras und Wifi-Sensoren, die Aufschluss über die Anzahl und Dichte von Fußgängern geben. Diese Daten werden für strategische, taktische und operative Zwecke verwendet. Im Rahmen des Pilotprojekts Public Eye Amsterdam wird mit einem innovativen, quelloffenen Teil des CMSA-Datensystems die Verkehrsdichte an einer Reihe von Orten in Amsterdam kartiert.“ Demnach sind an diesen Orten Kameras installiert, die mit einem Server der Stadtverwaltung verbunden sind. Zudem analysiert ein Algorithmus auf dem Server, wie viele Personen auf den Bildern jeweils zu sehen sind.

Gut, wenn eine solche Prognoselösung den Stadtverantwortlichen hilft, beispielsweise Touristenströme oder Besucher von Großveranstaltungen besser zu lenken. Mindestens nachdenklich stimmen solche „Überwachungstechnologien“, wenn sie für die innere Sicherheit verwendet werden. Denn damit geht die zentrale Frage einher: Wo fängt die Überwachung an und wo muss sie aufhören? Erfahrungen aus Berlin oder London zeigen, wohin die Reise bei der Überwachung von Städten und den darin sich bewegenden Menschen gehen kann. Das sollte zumindest zum Nachdenken und einer stärkeren Diskussion über den Technologieeinsatz im Umfeld der inneren Sicherheit anregen. Denn letztendlich geht es auch darum festzulegen, wie innere Sicherheit interpretiert und ausgelegt wird und wo die Grenzen eines solchen Einsatzes sind. So weit sind die Verantwortlichen im spanischen Lloret de Mar noch lange nicht. Müssen sie vielleicht auch nicht sein, um den Tourismus der Stadt in neue Bahnen zu lenken. Denn es gibt analoge und digitale Möglichkeiten in Zeiten des Massentourismus.