Energiekrise und Klimawandel: Soll hinterher keiner sagen, er hätte es nicht gewusst

Andreas Eicher


Die Unwort-Aktion schreibt auf ihren Seiten: „Sprachliche Ausdrücke werden dadurch zu Unwörtern, dass sie von Sprecher:innen entweder gedankenlos oder mit kritikwürdigen Intentionen vor allem im öffentlichen Kontext verwendet werden (…). Die Reflexion und Kritik des Gebrauchs von Unwörtern zielt dabei auf die Sensibilisierung für diskriminierende, stigmatisierende, euphemisierende, irreführende oder menschenunwürdige Sprachgebräuche und auf die Verantwortlichkeit der Sprecher:innen im Hinblick auf sprachliches Handeln.“ Ein solch gedankenloses und mit einer kritikwürdigen Intention belegter Begriff ist das Unwort des Jahres 2022: „Klimaterroristen“.

Weit verbreitet in Politik und Medien: Abwerten statt vernünftig Handeln. Bild: stock.adobe.com (Markus Mainka)

Zur Begründung nennen die Denker hinter der Unwort-Aktion: „Mit dem Ausdruck Klimaterroristen wird im öffentlich-politischen Diskurs pauschal Bezug auf Akteur:innen genommen, die sich für die Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen und die Erreichung der Ziele des Pariser Klimaabkommens einsetzen. Der Ausdruck wurde im öffentlichen Diskurs gebraucht, um Aktivist:innen und deren Protest zu diskreditieren.“

Von der Diskreditierung zu bizarren Vorschlägen

Gut erkannt und ein Zeichen gesetzt. Denn die Diskreditierung von Klimaaktivisten und Menschen, die sich für den Erhalt unserer Erde und gegen ein zu viel an einem rein profitorientierten Wirtschaften und damit Raubbau an der Natur aussprechen, ist im vollen Gange. Anfänglich – sprich in der Gründungsphase der Grünen in den 1980er-Jahren – war es die Umweltbewegung, gegen die das damalige politische und wirtschaftliche Establishment wetterte. Heute sind es „Fridays for Future“ und „Die letzte Generation“, die medial teils vorgeführt und kriminalisiert werden. Einen unrühmlichen Höhepunkt durfte die Letzte-Generation-Bewegung im Zuge der staatlichen Ermittlungen im Dezember 2022 erfahren. Das Argument: „Verdacht auf Bildung einer kriminellen Vereinigung“. Selbst öffentlich-rechtliche Medien, die laut Rundfunkstaatsvertrag „bei der Erfüllung ihres Auftrags die Grundsätze der Objektivität und Unparteilichkeit der Berichterstattung, die Meinungsvielfalt sowie die Ausgewogenheit ihrer Angebote zu berücksichtigen“ haben, tun sich nicht selten schwer mit dieser Vorschrift und urteilen übereilt. Klar ist, dass alles interpretierbar ist. Klar ist aber auch, dass nicht selten rote Linien in einer einseitigen Berichterstattung überschritten werden. Das war in der Finanzkrise so, zeigte sich teils im Zuge der Corona-Pandemie und ist mit Ausbruch des Ukraine-Kriegs, Waffenlieferungen und dem Energieengpass nicht anders. Dass davon Klima- und Umweltthemen nicht befreit sind, das steht außer Frage.

Und selbst die, die es teils aufgrund ihrer Gründungsgeschichte und der einst formulierten ökologischen Werte besser wissen müssten – namentlich die Partei „Bündnis 90/Die Grünen“, reden sich und ihr Tun schön. Ganz nach der Devise: Schuld sind immer die anderen. Und wenn dieses Argument nicht zieht, wird das Zusammenrücken der Bevölkerung durch die Politik eingefordert.

Oder wie es ein hochrangiger Politiker von Bündnis 90/die Grünen in einem Interview mit dem Redakteur dieses Beitrags im letzten Jahr formulierte, wonach wir in einen sauren Apfel beißen müssten. Gemeint war und ist das Energiedesaster, in das uns die Politik hierzulande und europaweit sehenden Auges manövrierte. Und mit „wir“ ist vielfach die Bevölkerung gemeint. Die soll das Energieversorgungsdilemma samt mangelnder Transformationsgeschwindigkeit in Richtung erneuerbarer Energien ausbaden, „damit wir gut durch den Winter kommen“ (wie es in einem aktuellen Werbespot der Bundesregierung heißt). Bizarre Vorschläge – von der Waschlappennutzung über das „Hände kalt waschen“ bis zum „Türen schließen“ – treiben das Chaos auf die Spitze.

Ohne Plan B und das verfehlte Klimaziel

Und so kam es, wie es kommen musste. Aufgrund des planlosen Vorgehens in Zeiten der Krise – ohne einen wirklichen Plan B – werden autoritäre Staaten wie Katar und Saudi-Arabien hofiert. Gewinnt das zumindest ökologisch fragwürdige Flüssigerdgas (LNG: Liquefied Natural Gas) aus den USA an Bedeutung. Die Umwelt- und Klimaschutzorganisation Greenpeace hierzu: „Bei LNG aus den USA und Australien handelt es sich oft um Fracking-Gas. Das ist aufgrund von Leckagen noch klimaschädlicher als konventionelles, fossiles Gas. LNG mit hohem Fracking-Anteil aus den USA ist über sechsmal und aus Australien rund 7,5-mal klimaschädlicher als Pipeline-Gas aus Norwegen.“ Zudem werden Laufzeiten für Kohle- und Atomstrom verlängert.

Das alles geht auf Kosten einer wirklichen und damit zukunftsweisenden Energiewende, die zwingend geboten bis heute nicht wirklich vom Fleck kommt. „Tageschau.de“ schreibt hierzu im Januar 2023: „Deutschland hat im vergangenen Jahr laut einer Studie zum Thema Energiewende wohl ein entscheidendes Klimaziel verfehlt: Der Treibhausgasausstoß ist trotz eines geringeren Energieverbrauchs nicht zurückgegangen.“ Als einen Grund nennt der Beitrag den verstärkten Einsatz von Kohlekraftwerken als Gasersatz und bezieht sich auf eine Studie der Denkfabrik Agora-Energiewende. Ein genauerer Blick in die Studie offenbart, dass „Deutschlands CO₂-Ausstoß stagniert (…), obwohl der Energieverbrauch deutlich sinkt und ein günstiges Wetterjahr den Anteil von Wind- und Solarstrom auf Rekordhöhe hebt“.

Ein Energie-Atlas, Reallabore und digitale Zwillinge

Um mehr Überblick in den ganzen Prozess der erneuerbaren Energien zu bekommen, sind zentrale und vor allem valide Informationen ein wesentlicher Baustein. Einen wichtigen Ankerpunkt mit Informationen, Ideen und Werkzeugen bietet beispielsweise der Energie-Atlas Bayern. Der Atlas dient als zentrales Internetportal der Bayerischen Staatsregierung zu den Themen Energieeinsparungen, Energieeffizienz und erneuerbare Energien. Ganz in diesem Sinne sehen die Macher den Atlas als eine schnelle und unkomplizierte Informationsmöglichkeit mit Blick auf die Energiewende durch den Ausbau erneuerbarer Energien, aber auch hinsichtlich möglicher Einsparpotenziale und der Effizienzsteigerung beim Energiethema. „Mit dem Energie-Atlas und den dahinterstehenden Anwendungen und Datengrundlagen richten wir uns an Bürger, Städte und Kommunen, Unternehmen, Planer und Behörden“, erklärt Michael Schneider, fachlicher Projektmanager des Energie-Atlas Bayern. Und er fügt hinzu: „Der Energie-Atlas Bayern ist so über die Jahre zu einem mächtigen Tool gereift. Ein Umstand, von dem nicht zuletzt Kommunen profitieren, vor allem aufgrund der vielfältigen Werkzeuge, die der Energie-Atlas für die Anwender bereithält.“


Ein ausführliches Interview mit Michael Schneider vom Energie-Atlas Bayern finden Interessierte in der gis.Business 1/2023.


Im Zuge der angestrebten Energiewende können sogenannte Reallabore der Wissenschaft eine wichtige Funktion einnehmen. Die Helmholtz-Gemeinschaft bezeichnet diese Reallabore „als Fenster in eine saubere Zukunft“. Am Beispiel vorausschauender Regelungsstrategien geht es „um Energieversorgungssysteme in den Bereichen Wärme, Strom, chemische Energiespeicher und Mobilität“ und darum, diese miteinander zu verbinden. Dabei kommt der Digitalisierung eine Schlüsselfunktion zu, denn ohne sie kann die Energiewende nicht funktionieren. Den Stellenwert digitaler Lösungen unterstreicht unter anderem die Hochschule für Technik Stuttgart (HFT Stuttgart), wo unter anderem Antworten auf die zentrale Frage gesucht werden: „Wie können 3D-Stadtmodelle Planungen zur Energiewende unterstützten?“ Eine Lösung zeigt exemplarisch das 3D-Stadtmodell der Gemeinde Wüstenrot, das in Zusammenarbeit der HFT Stuttgart und dem Landesamt für Geoinformation erstellt wurde. „In Wüstenrot kam das 3D-Stadtmodell für die Abschätzung des PV-Potenzials (PV: Photovoltaik, Anm. d. Red.) und des Heizwärmebedarfs zum Einsatz, ebenso für die Planung neuer netzgebundener regenerativer Wärmenetze.“ Und auch an der HFT Stuttgart heben die Verantwortlichen auf Reallabore ab. Ein Beispiel ist das bereits beendete Projekt „Ensign“. Inhaltlich ging es um den Transformationsprozess hin zu einer klimaneutralen Hochschule. Dabei verfolgten die Verantwortlichen das Ziel, energetische „Strategien für die Klimaneutralität des innerstädtischen Campus der Hochschule“ zu entwickeln.

An der Universität Ulm haben die Verantwortlichen gleichfalls die Möglichkeiten des Reallabors erkannt. Dort gehen die Forscher der Frage nach: „Wie kann das Ulmer Industrie- und Gewerbegebiet Donautal klimafreundlicher werden?“ Das Ganze soll in einem Reallabor der Universität Ulm und im Austausch mit Geschäftsleitungen und Beschäftigten in einem Zukunftskonzept münden. Die Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule (RWTH) Aachen wiederum setzt auf das Reallabor „SmartQuart“. Hierzu werden im Rahmen des Forschungsprojekts „in drei Quartieren die Möglichkeiten der nachhaltigen, energetischen Autarkie“ bis Dezember 2024 erforscht. Weiter heißt es: „Das Quartier Bedburg als ländlich geprägtes Wohnquartier, Kaisersesch als ländlich geprägtes Industriequartier und Essen als urbanes Stadtquartier bilden dabei den Querschnitt deutscher Quartierstypen ab, um eine Übertragbarkeit auf ganz Deutschland zuzulassen.“

Das SmartQuart-Projekt steht im direkten Zusammenhang mit dem vom ehemaligen Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier ausgeschriebenen Ideenwettbewerb für die „Reallabore der Energiewende“. Auf den zuständigen Seiten des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz heißt es hierzu: „In ihrem 7. Energieforschungsprogramm hat die Bundesregierung die Reallabore der Energiewende als neues Förderformat etabliert. Sie ermöglichen es, innovative Technologien in der praktischen Anwendung unter realen Bedingungen und im industriellen Maßstab zu testen. Die Reallabore betrachten das systemische Zusammenspiel von Energiebereitstellung und Energiebedarf auf der Ebene zum Beispiel eines konkreten Quartiers, einer oder mehrerer ausgewählter Städte oder sie erstrecken sich sogar über mehrere Bundesländer.“

Digitale Zwillinge als wichtige Unterstützer im Energiebereich. Bild: stock.adobe.com (Tiko)

Digitale Zwillinge als wichtige Unterstützer im Energiebereich. Bild: stock.adobe.com (Tiko)


Wichtige Unterstützung bei diesen Projekten können digitale Zwillinge leisten – sei es zur Abbildung eines virtuellen Modells, zur Simulation möglicher Szenarien oder bei der Durchführung von Datenanalysen und Vorhersagen im Energiebereich. Nach Ansicht des Unternehmens Esri ermöglichen digitale Zwillinge „eine umfassende Abstraktion und Modellierung unserer Umgebung. Die damit einhergehende Automatisierung erlaubt die Vorhersage von Ergebnissen, was wiederum bessere Geschäftsabläufe, geringere Risiken, eine gesteigerte Betriebseffizienz und optimierte Entscheidungsfindung bedeutet.“ Ein Beispiel zeigt Siemens mit dem digitalen Zwilling für Windturbinen. Nach Aussagen des Unternehmens „wird in einem durchgehenden Datenmodell vom Design bis zur Herstellung der Windturbine die virtuelle mit der realen Welt verbunden“. So lässt sich die jeweilige Windturbine „digital entwerfen, simulieren und verifizieren, inklusive Aerodynamik, Akustik und Energiemanagement“ und danach real bauen und betreiben.

Darüber hinaus liefern digitale Zwillinge wichtige Daten für die Instandhaltung und Wartung von Windkraftanlagen. Zudem setzen Städte wie Hamburg oder München auf digitale Zwillinge. Mithilfe sogenannter Urban-Data-Plattformen bauen diese an zentralen Datendrehscheiben. Damit möchten Stadtverantwortliche Insellösungen überwinden und diese zu einem gemeinsamen Ökosystem vernetzen. Wichtige Treiber dabei sind neben der stärkeren Digitalisierung von Verwaltungsprozessen vor allem nachhaltige Lösungen – unter anderem hinsichtlich der Mobilität und des Energiemanagements.

Doch bei allen digitalen Ideen, Lösungen und Vorhaben braucht es vor allem ein konsequentes Handeln in puncto eines nachhaltigen Energiemanagements. Ein Muss, um sich stärker von fossilen Energieträgern zu lösen und letztendlich den Klimawandel zu stoppen. Das ist zuvorderst eine politische Aufgabe. Die muss endlich einen verbindlichen Rahmen im internationalen Kontext setzen, die richtigen Weichen stellen und schnell handeln. Förderlich sind kreative Ideen, Mut und Verantwortungsbewusstsein sowie digitale Lösungen, wenn sie denn richtig eingesetzt werden. Weniger hilfreich sind Pauschalurteile gegen Klimaaktivisten und allgemein Menschen, die vor dem drohenden Umwelt- und Klimakollaps warnen. Soll hinterher keiner sagen, er hätte es nicht gewusst.