Wissenschaft & Forschung

Der ländliche Raum: Überlegenheit in der Pandemie

Die Professorinnen Dr. Martina Klärle und Dr. Tine Köhler von der Frankfurt University of Applied Sciences (UAS) nehmen zum Land-Stadt-Gefälle in Zeiten von Corona Stellung.

 

Prof. Dr. Martina Klärle (l.) und Prof. Dr. Tine Köhler. Bild Frankfurt University of Applied Sciences

Der ländliche Raum war schon immer Ressourcen- und Rückzugsraum für den städtischen Raum. In der gegenwärtigen Coronapandemie ist er aber nicht nur der Raum, aus dem sich die Metropolen speisen, sondern er wird als ein Refugium des Zeitwohlstands und der sozialen Stabilität neu entdeckt. Diese These vertreten Prof. Dr. Martina Klärle und Prof. Dr. Tine Köhler von der Frankfurt UAS. Sie beide sind dort Professorinnen für Landmanagement am Fachbereich Architektur, Bauingenieurwesen, Geomatik.

Durch die Krise habe man unsere Gesellschaft und Wirtschaft in vielen Bereichen heruntergefahren. Jetzt, da man damit beginne, langsam wieder hochzufahren, habe man die Chance und die Pflicht, die Strukturen und Abläufe in der Organisation unseres Lebens zu hinterfragen sowie neu und besser zu justieren. Es wäre nicht gut, alles wieder auf das gleiche Maß hochzufahren, wie es vor Corona war. Im Gegenteil – vieles von dem ‚Schneller-Besser-Mehr‘ sei bisher unverantwortlich. Der Ausstieg aus dem Lockdown eröffne uns die Chance für eine Wende zu qualitativem und nachhaltigem Wachstum, insbesondere für den ländlichen Raum, sind die beiden Expertinnen für Regional- und Landmanagement überzeugt.

Ressourcensicherheit im ländlichen Raum

Die unverzichtbaren Ressourcen des Lebens – Erde, Wasser und Luft – seien die Produktionsvoraussetzungen für Nahrungsmittel, Trinkwasser und die Erneuerbaren Energien. Sie seien im ländlichen Raum in Relation zur Einwohnerzahl umfassender vorhanden. Derzeit erlebten wir mit der Coronapandemie einen ‚Anschlag‘ auf unsere Gesundheit. Wenn aber unsere Wasser-, Energie- und Nahrungsmittelversorgung eines Tages knapper werden würden, würden die Vorteile des ländlichen Raums noch stärker zu Tage treten, so Klärle. Diese Ressourcensicherheit habe der ländliche Raum in der Menschheitsgeschichte immer wieder bewiesen. Die Nahrungsmittelpreise seien im Verlauf der Coronakrise stärker gestiegen als die Preise anderer Güter. Die Chance, sich von Krisen unabhängig zu machen, sei im ländlichen Raum dadurch ungleich größer geworden als in der Stadt, ergänzt Köhler.

Für Köhler bedeutet ein gutes Leben ein für die Menschen hinzugewonnener Zeitwohlstand im Einklang mit der Natur. Dieser offenbare sich derzeit für sie, da sie aufgrund der Coronakrise im Homeoffice im Odenwald arbeitet. Ländliche Räume könnten Resilienz gegen das Virus schaffen, auch wenn wir diese Leistung bisher nicht ökonomisch messen oder messbar machten, erklärt Köhler. Das „multilokale Wohnen“, das eine Stadt wie Frankfurt präge, da dort tausende Arbeitnehmer nur während der Woche für wenige Tage lebten, würde überflüssig, so die Expertin. Immer mehr Menschen würden damit beginnen, von zu Hause aus zu arbeiten. Mehr Menschen würden sich selbstbestimmt für die Arbeit in ihrer persönlichen Heimat entscheiden – diese liege für viele Menschen im ländlichen Raum, betont Köhler. Wohnen und Arbeiten würden wieder mehr bei der jeweiligen Person konzentriert sein, und diese würde den Wohnort freier als bisher nach ihren Wünschen und Bedürfnissen wählen. Das zeige sich alleine schon dadurch, dass das digitalisierte Arbeiten derzeit einen gewaltigen Schub erfahre. Für ein Meeting von nur einer halben Stunde werde sie künftig nicht mehr nach Berlin reisen, so Klärle.

Verändertes Verhalten

Die Umstellung auf Homeoffice schätzt Köhler mit Blick auf sich, ihre Kollegen sowie die Studierenden der Hochschule. Viele von ihnen würden aktuell täglich zwei bis vier Stunden Wegezeit zur Hochschule einsparen. Die aufsummierte gewonnene Lebenszeit sei enorm. Das Leben im ländlichen Raum sei dadurch in Zeiten wie diesen deutlich einfacher geworden, fügt Klärle hinzu. Sie selbst lebt in einem Dorf mit etwa 800 Einwohnern im Norden Baden-Württembergs, in dem nahezu alle Menschen im Alter von über 80 Jahren zuhause leben; nur Einzelne seien in Seniorenheimen untergebracht. Das sei nur deshalb möglich, weil Kinder, Enkelkinder sowie Nachbarn regelmäßig nach den alten Menschen sehen und sie unterstützen würden. Die Hilfe sei keine Last, sondern sozialer Reichtum. Die alten Menschen lebten selbstbestimmt und nicht vereinsamt – nicht nur in Zeiten von Corona, schildert die Expertin.

„Ein unbestreitbarer Vorteil des ländlichen Raums in der Coronapandemie ist, dass er allen Menschen mehr Platz biete, erklärt Köhler. Für die Einzelnen, ihre Familien, Freunde sowie Kollegen zähle nicht nur der Wohnraum, sondern auch der Raum in Gemeinschaftshäusern, Scheunen und Mehrzweckbauten, in denen sowohl mehr gemeinschaftliches soziales Leben als auch der Rückzug von der zu engen Gemeinschaft in knappen Wohnverhältnissen möglich sei. Auf dem Land falle den Leuten nicht die Decke auf den Kopf wie in der engen Stadtwohnung, ergänzt Klärle. Auch sei in ländlichen Räumen mehr Infrastruktur vorhanden, als viele Menschen vermuten würden. In dem Dorf, in dem sie lebe, sei die Breitbandversorgung teilweise besser als in Teilen Frankfurts. Es gebe funktionierende Dorfläden, mit denen die Landbevölkerung erfolgreich ihre Versorgung gesichert habe sowie funktionierende Mobilitätskonzepte, wie eine Car-Sharing-Flotte von E-Mobilen, mit denen der Anschluss an den nächsten ICE-Halt zu jeder Tageszeit gesichert sei, betont Klärle weiter.

In Krisenzeiten der letzten Jahrhunderte wie auch in der aktuellen Pandemie habe sich der ländliche Raum immer als Rückgrat des Ballungsraums bewiesen. Sie seien sich sicher, dass der ländliche Raum aus dieser Krise gestärkt hervorgehe Das Bewusstsein der Menschen für ein ausgewogeneres und nachhaltigeres Leben werde weiter wachsen, blicken Klärle und Köhler nach vorn.

Weitere Informationen unter www.frankfurt-university.de

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