Wissenschaft & Forschung

Städte und Metropolregionen aus der Satellitenperspektive betrachten

Wie lassen sich Siedlungsräume zwischen Deutschland und Frankreich grenzüberschreitend sichtbar machen?

Was die Grenze trennt, verbinden die Städte: Die Daten zeigen, dass die Siedlungen entlang der deutsch-französischen Grenze eng miteinander verwoben sind. Bild: Alexander Ratzing

Forschende der Hochschule München (HM) entwickeln eine neue Analysemethode, um Siedlungsräume grenzüberschreitend sichtbar zu machen. Die Untersuchungen zeigen, dass die deutsch-französische Grenze seit dem Schengen-Abkommen kaum noch als trennendes Element wahrgenommen wird und sich die politische Integration Europas auch in der Raumentwicklung widerspiegelt.

HM-Professor Andreas Schmitt von der Fakultät für Geoinformation nahm das 60-jährige Bestehen des Élysée-Vertrages zum Anlass, die Siedlungsstrukturen Frankreichs und Deutschlands und insbesondere der Grenzregion näher zu untersuchen. Zusammen mit Co-Autoren entstanden zwei neue Studien, die mithilfe einer neuartigen KI-gestützten Methode Städte und Metropolregionen aus der Satellitenperspektive betrachten und vergleichen. Die Studien weisen zwar unterschiedliche Siedlungsmuster nach, doch statt einer klaren Trennlinie entlang der Grenze zeigen die Daten ein immer stärker zusammenwachsendes Europa.

Neuer Blick auf alte Grenzen

Die erste Studie vergleicht die Siedlungsmuster in Deutschland und Frankreich mithilfe der frei zugänglichen „Global Urban Footprint“-Satellitendaten des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), die weltweit menschliche Siedlungen zeigen. Ein neu entwickelter Algorithmus identifiziert dabei Metropolregionen allein auf Basis der Siedlungsstruktur – unabhängig von administrativen Grenzen. Dabei fällt auf: Der historisch bedingte Zentralismus von Frankreich und der deutsche Föderalismus lassen sich noch heute an den Siedlungsmustern ablesen. Viele Stadtregionen entlang der deutsch-französischen Grenze wachsen jedoch so eng zusammen, dass sie sich kaum eindeutig einem Land zuordnen lassen – sie bilden grenzüberschreitende urbane Ellipsen, ein europäisches Musterbeispiel der Siedlungsentwicklung.

Grenzregion Deutschland-Frankreich als Modellfall europäischer Integration

Diese Beobachtung war Ausgangspunkt für eine zweite Studie zur Entwicklung der Grenzregion seit dem Inkrafttreten des Schengen-Abkommens. Diese Studie fokussiert die Analyse der Siedlungsentwicklung entlang der deutsch-französischen Grenze anhand des World Settlement Footprint – Evolution, ein ebenso frei verfügbarer Datensatz des DLR, der die globale Ausbreitung menschlicher Siedlungen von 1985 bis 2015 aufzeigt. Die Auswertung der Daten beweist: Die einst trennende Grenze wirkt seit ihrer Öffnung im Jahr 1984 eher verbindend – Siedlungsräume auf beiden Seiten wachsen überdurchschnittlich stark und lassen die Grenze dazwischen mehr und mehr verschwinden.

Methoden, die neue Perspektiven eröffnen

Die zugrundeliegende Methodik basiert auf Siedlungsmasken aus Satellitendaten, also global verfügbare Karten, die bebaute und unbebaute Flächen voneinander abgrenzen. Sie zeigen, wo sich Siedlungsstrukturen wie Städte, Dörfer oder Industriegebiete befinden. Für sich genommen liefern diese Masken jedoch noch keine Aussage über Muster und Dynamiken der Siedlungsentwicklung. Sie zeigen nur, wo gebaut wurde –jedoch nicht, wie sich Siedlungen räumlich organisieren oder entwickeln. Erst der im Projekt entwickelte Clustering-Algorithmus erkennt darin völlig autonom zugrundliegende Muster – und verwandelt die Rohdaten der Satellitenkarten in greifbare Erkenntnisse. Insgesamt zeigen die Studien nicht nur, wo städtebauliche Strategien bereits erfolgreich waren, sondern liefern auch wertvolle Hinweise für die zukünftige Raum- und Infrastrukturplanung.

Wissenschaftlich fundiertes Plädoyer für offene Grenzen

Beide Studien belegen: Die deutsch-französische Grenze ist heute vor allem ein historisch gewachsenes, aber längst überholtes Konstrukt. Die tatsächlichen Siedlungsraumstrukturen widersprechen der Vorstellung klar abgegrenzter Nationalstaaten – sie spiegeln vielmehr die Realität eines vernetzten, geeinten Europas wider. Gerade in Zeiten neuer geopolitischer Spannungen senden diese Ergebnisse ein starkes Signal für Offenheit, grenzüberschreitende Zusammenarbeit und für ein friedliches Miteinander in Europa.

Weitere Informationen unter https://hm.edu/

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