Wissenschaft & Forschung

Frühchristliche Altarplatte: Schwarmintelligenz soll bei Rekonstruktion helfen

Um eine zerbrochene Altarplatte zu rekonstruieren, setzen Forscher auf Schwarmintelligenz.

Ein Screenhot aus dem virtuellen Raum, in dem User die Bruchstücke zusammensetzen können. Der Hintergrund zeigt die Umgebung des Ausgrabungsortes am Kirchbichl im Lavant. Bild: CGV - TU Graz

Forschende von TU Graz und Universität Graz haben eine zerbrochene Altarplatte aus Lavant digitalisiert, damit Bürger sie im Internet zusammensetzen können, Stichwort Schwarmintelligenz. Dadurch soll gelingen, woran Generationen von Archäologen gescheitert sind.

Schwarmintelligenz soll bei Rekonstruktion helfen

Die Bischofskirche am Kirchbichl im Osttiroler Lavant zählt zu den bedeutendsten frühchristlichen Baudenkmälern Österreichs. In den 1950er-Jahren wurden die Überreste dieser Kirche samt den Fragmenten einer Altarplatte aus Marmor freigelegt. In all den Jahren ist es nicht gelungen, die in 139 Einzelteile zerbrochene Altarplatte wieder gänzlich zusammenzusetzen. Was Fachleute bislang nicht schafften, soll nun mithilfe interessierter Bürger gelingen: Forschende der TU Graz und der Universität Graz haben die interaktive Internetplattform „Open Reassembly“ geschaffen, auf der Nutzer gemeinsam daran arbeiten können, die digitalisierten Bruchstücke der Altarplatte wieder zusammenzufügen.

Selbst spezialisierte Algorithmen können das Puzzle kaum lösen

Die Bruchstücke seien weitgehend texturlos und teilweise erodiert, was die Rekonstruktion äußerst schwierig mache, sagt Reinhold Preiner vom Institut für Computer Graphik und Wissensvisualisierung der TU Graz. Ob zwei Fragmente zusammenpassten, lasse sich aufgrund der Erosion nicht immer eindeutig feststellen. Zudem seien nicht mehr alle Fragmente der Platte vorhanden. Daher könnten selbst auf solche Objekte spezialisierte Computeralgorithmen dieses Puzzle nicht zuverlässig lösen. Die Hoffnung ruht nun auf der Schwarmintelligenz interessierter Internetuser.

Digitale Zwillinge aus Hunderten Fotos und geometrischen Daten

Für das Projekt wurden die Einzelteile der Altarplatte am Institut für Antike der Universität Graz digitalisiert. Pro Fragment habe man rund 100 Fotos aus unterschiedlichen Perspektiven aufgenommen und diese mit geometrischen Daten aus Messungen eines Streiflichtscanners kombiniert, erläutert Stephan Karl vom Institut für Antike. Die so erstellten digitalen Zwillinge der Bruchstücke lassen sich auf der Internetplattform „Open Reassembly“ in alle Richtungen drehen und virtuell mit den anderen Teilen zusammensetzen. Die Teilnehmer können selbst puzzeln und die Anpassungen anderer Mitspieler bewerten. Gemeinsam, so die Hoffnung, kommt der Schwarm der Lösung Schritt für Schritt näher.

Das Projekt ist aber auch jenseits des archäEin Screenhot aus dem virtuellen Raum, in dem User*innen die Bruchstücke zusammensetzen können. Der Hintergrund zeigt die Umgebung des Ausgrabungsortes am Kirchbichl im Lavant. Bildquelle: CGV - TU Graz ologischen Puzzles relevant: In den Computerwissenschaften gebe es bereits Ansätze computergestützter Reassemblies: Meist liefen sie vollautomatisiert, vereinzelt auch unter Einbindung einzelner User, jedoch stets lokal, sagt Reinhold Preiner. Mit der Einbeziehung der breiten Bevölkerung in solch einen Reassembly-Prozess über das Internet betrete man weitestgehend Neuland.

Suche nach optimalen Bedingungen für Kooperation

Preiner und Karl möchten herausfinden, ob die kollaborative Herangehensweise an solch ein komplexes geometrisch-kombinatorisches Problem auch ohne archäologisches Fachwissen eine Lösung liefert, die mit hoher Wahrscheinlichkeit korrekt ist. Auf der Internetplattform werden die User automatisch in größere und kleinere Gruppen aufgeteilt und erhalten technische Hilfestellungen in unterschiedlichem Ausmaß. Durch die Analyse des Lösungsfortschritts, der Bearbeitungsdauer und Lösungseffizienz will man herausfinden, welche Rahmenbedingungen für den kollektiven Reassembly-Prozess am förderlichsten sind.

Für die Teilnahme ist lediglich ein Desktoprechner mit Internetzugang, Maus und Tastatur nötig. Personenbezogene Daten werden bei der Registrierung nicht erhoben.

Weitere Informationen unter www.tugraz.at

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