Wissenschaft & Forschung

Geplante Pestizidverordnung der EU – konkrete Flächenberechnungen

Zwei Wissenschaftler haben erstmals konkrete Flächenberechnungen für eine faktenbasierte Diskussion zur geplanten Pestizidverordnung der EU vorgelegt.

Landschaftsschutzgebiete können eine hohe Zahl von Ackerflächen aufweisen, wie das Beispiel LSG Rippelbaum in Nordrhein-Westfalen zeigt. Bild: Lisa Eichler/IÖR; Daten: Bundesamt für Naturschutz [2019], LBM-DE GeoBasis-DE/BKG [2021], Geobasisdaten Geobasis-DE/BKG [2020])

Mit einer neuen Pestizidverordnung möchte die EU-Kommission die Verwendung von Pflanzenschutzmitteln in der Landwirtschaft neu regeln, wozu es nun erstmals konkrete Flächenberechnungen gibt. Der Entwurf sieht unter anderem ein Pestizidverbot für Agrarflächen vor, die in Schutzgebieten liegen. Genaue Zahlen, auf wie viel Fläche dies in Deutschland zutreffen würde, fehlten bisher. Das erschwerte eine sachliche Diskussion.

Lisa Eichler vom Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung (IÖR) und Dr. Carsten Brühl von der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität Kaiserslautern-Landau (RPTU) haben nun die Flächenanteile, um die es geht, für ganz Deutschland und die Bundesländer errechnet.

Flächenberechnungen zur geplanten Pestizidverordnung der EU

Im Juni 2022 hat die Europäische Kommission den Entwurf einer Verordnung zur nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln (Sustainable Use Regulation/SUR) veröffentlicht. Die geplante Verordnung soll dazu beitragen, die Ziele der „Farm-to-Fork“-/„Vom-Hof-auf-den-Tisch“-Strategie der EU-Kommission zu erreichen: Das europäische Ernährungssystem soll fair, gesund und umweltfreundlich gestaltet werden.

Dazu gehört auch, weniger Pflanzenschutzmittel auszubringen. Die geplante Verordnung zielt daher zum einen darauf ab, den Einsatz von Pestiziden bis 2030 zu halbieren. Außerdem ist ein Verbot von Pflanzenschutzmitteln in so genannten sensiblen Gebieten vorgesehen. Es soll helfen, das Risiko von Umweltschäden in empfindlichen Ökosystemen zu vermindern und die biologische Vielfalt zu erhalten. Zu den Schutzgebieten, für die ein Pestizidverbot vorgesehen ist, zählen Wasserschutzgebiete, Natur-, Vogel-, Flora-Fauna-Habitat- und Landschaftsschutzgebiete sowie Nationalparks, die besonders schützenswerte Lebensräume und Arten beherbergen.

Konkrete Zahlen – wie viele Flächen beträfe ein Pestizidverbot?

Das Verbot von Pflanzenschutzmitteln in diesen Schutzgebieten bezieht sich auch auf Agrarflächen, die in diesen Arealen liegen. Das hat in den vergangenen Monaten bereits zu hitzigen Debatten geführt. Doch auf wie viele Flächen träfe das Verbot in Deutschland überhaupt zu? Konkrete Zahlen dazu gibt es bisher nicht. Da diese aber wichtig wären, um die Diskussion zur geplanten EU-Verordnung zu versachlichen, haben Eichler und Brühl Berechnungen dazu vorgenommen und stellen die Zahlen allen Interessierten zur Verfügung.

Werden für die Berechnung alle Flächen berücksichtigt, welche die geplante Verordnung aktuell als ökologisch sensible Gebiete definiert, dann würde das Pestizidverbot in Deutschland für insgesamt 38.018 km² Ackerfläche und 696 km² Obst- und Weinbauflächen gelten. Das entspricht 31 % der Gesamtackerfläche bzw. 36 % der gesamten Obst- und Weinbauflächen von Deutschland. Der größere Teil dieser Agrarflächen liegt in Landschaftsschutzgebieten (LSG), nämlich 19 % der deutschen Ackerflächen und 25 % der Obst- und Weinbauflächen. Auch in einigen Bundesländern mit großen Agrarflächen liegen diese überdurchschnittlich oft in Landschaftsschutzgebieten: bei den Ackerflächen 39 % in Nordrhein-Westfalen, 28 % in Brandenburg und 26 % in Sachsen. In Rheinland-Pfalz trifft dies auf 29 % der 809 km² großen Obst- und Weinbaufläche zu. Vergleichsweise hohe Anteile der Agrarflächen liegen zum Teil aber auch in Trinkwasserschutzgebieten: Im Bundesdurchschnitt gilt dies für 10 % der Ackerflächen. Bei den Bundesländern trifft dies vor allem auf Ackerflächen in Baden-Württemberg (32 %), Hessen (28 %) und Mecklenburg-Vorpommern (17 %) zu.

Szenario: Kein Pestizidverbot in Landschaftsschutzgebieten

„In den bisherigen Diskussionen wurde häufig infrage gestellt, ob das Pestizidverbot wirklich für alle Schutzgebietskategorien gleichermaßen gelten soll. Es gab Überlegungen, zum Beispiel die Landschaftsschutzgebiete von den strengen Regelungen auszunehmen. Wir haben auch dieses Szenario berechnet“, erläutert Eichler vom IÖR. Klammert man Agrarflächen, die ausschließlich in Landschaftsschutzgebieten liegen, bei der Berechnung aus, dann beläuft sich der Anteil von Agrarflächen in ökologisch sensiblen Gebieten auf deutschlandweit rund 21.146 km², davon 20.845 km² Ackerfläche und 301 km² Obst- und Weinbauflächen. Damit wären in Deutschland noch 17 % der Gesamtackerfläche und 16 % der Obst- und Weinbauflächen von einer Pestizidbeschränkung betroffen. In einigen Bundesländern lägen auch in diesem Szenario noch überdurchschnittlich hohe Anteile von Agrarflächen in Gebieten mit Pestizidverbot: bei den Ackerflächen 45 % in Hessen, 37 % in Baden-Württemberg und 34 % in Mecklenburg- Vorpommern, bei den Obst- und Weinbauflächen 28 % in Baden-Württemberg.

„Wir wollen mit unseren Berechnungen eine konstruktive Debatte zur geplanten EU-Verordnung anregen. Die konkreten Zahlen zeigen auf, welche Betroffenheiten tatsächlich bestehen – das ist auch von Bundesland zu Bundesland verschieden und neben Landschaftsschutzgebieten spielen auch Wasserschutzgebiete eine große Rolle“, ordnet Brühl von der RPTU in Landau die Ergebnisse ein.

Für die Ermittlung der Flächen haben Eichler und Brühl eine breite Basis an Geodaten und Informationen aus verschiedenen Datenbanken herangezogen, diese Informationen analysiert und miteinander verschnitten. Die Herausforderung war, dass sich Schutzgebietskategorien überlagern können. Eine Ackerfläche kann zum Beispiel sowohl in einem Landschafts- als auch in einem Vogelschutzgebiet liegen. Daher wurde bei der Berechnung für jede Agrarfläche bestimmt, in welchen und in wie vielen Schutzgebieten diese liegt.

Weitere Informationen unter www.ioer.de

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