Die Mobilität der Zukunft

Andreas Eicher

Berlin, Ende Januar 2021. Die sonst so pulsierende Metropole dämmert seit Wochen in einer Art Dornröschenschlaf. Der Grund ist bekannt und heißt Corona. Private Reisen sind aktuell untersagt und so bewegen sich in der Bundeshauptstadt nur Geschäftsreisende, die Berliner selbst und die vielen Pendler. Letztere vermehrt mit dem eigenen Auto, was fatale Folgen für die angestrebte Verkehrswende haben könnte. „Die Verkehrswende steht vor dem Aus“ umreißt es die Frankfurter Allgemeine Zeitung in einem Artikel vom Mai 2020 [1]. Ob diese gleich vor dem Aus steht, das sei dahingestellt. Fakt ist, dass es schwer wird, auf die Überholspur und damit schnell in Richtung neuer Mobilitätskonzepte und -lösungen zu gelangen.

Wohin geht die Mobilität der Zukunft? Bild: stock.adobe.com (bluedesign)

Wohin geht die Mobilität der Zukunft? Bild: stock.adobe.com (bluedesign)

Wer in diesen Tagen zwischen dem Brandenburger Tor und dem Alexanderplatz unterwegs ist, der erlebt Berlin ruhig wie selten. Wenige Menschen auf den Straßen, geschlossene Geschäfte und Restaurants, versperrte Museen sowie eine schlafende Spree. Selbst die sonst so vollen S- und U-Bahnen sind im Vergleich zum „Normalleben“ kaum genutzt. Wer kann, steigt auf das Auto um oder bleibt gleich ganz im Homeoffice. Wen wundert es, dass die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) laut Informationen des Tagesspiegels im vergangenen Jahr über 300 Millionen weniger Fahrgäste beförderten [2]. Und mit Blick in die vielfach leeren Wagen der BVG dürften gefühlte Geisterfahrten auch 2021 ein Thema sein.

Die Pkw-Maut und eine erfolgreiche Lobbyarbeit

Im Schatten der schlafenden Bundeshauptstadt findet seit Monaten ein Gezerre um den Pkw-Maut-Skandal statt. Amtlich initiiert als „Infrastrukturabgabe“, umgangssprachlich Ausländermaut genannt (welch geistige „Irrfahrt“ schon in diesem Begriff liegt), und als Gesetz vom ehemaligen Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) verabschiedet. Sein Parteikollege und Nachfolger im Amt, Andreas Scheuer, führte das Mautvorhaben vollends zum Debakel mit einem geschätzten Schaden im dreistelligen Millionen-Euro-Bereich – für den Steuerzahler, versteht sich. Nun muss sich der Verkehrsminister seit geraumer Zeit vor dem Maut-Untersuchungsausschuss erklären und rechtfertigt sich mit „blitzgescheiten“ Argumenten. So zitiert ihn Zeit Online mit der Aussage: „Ich verstehe den Unmut auch über dieses Projekt. Fakt ist aber, dass wir rechtmäßig gehandelt haben“ [3]. Recht und Ordnung, das ist ganz nach dem Geschmack vieler Politiker – verbunden mit dem Wunschdenken, potenzielle Wähler rechts der Mitte zu gewinnen. Da passen Schlagworte ins Bild, wie eben die Ausländermaut.

Debakel und Millionengrab: die Pkw-Maut. Bild: stock.adobe.com (bluedesign)

Zurück zur Aufgabe des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI). A. Scheuers Ministerium sucht den Anschluss an neue Mobilitätskonzepte der Zukunft, wie etwa mit dem Deutschen Zentrum Mobilität der Zukunft (DZM). Mit dem DZM schafft das BMVI nach eigenen Aussagen einen Ort, „an dem die Mobilität von Morgen neu gedacht und entwickelt wird“.

Und weiter heißt es: „Das Zentrum soll auf Basis neuer technologischer Möglichkeiten Antworten darauf finden, wie sich Menschen fortbewegen und Waren transportiert werden können.“ Lieber spät als nie könnte hierzu ein Fazit lauten. A. Scheuer zündet in diesem Kontext eine neuerliche Nebelkerze mit den Worten: „Wir wollen kluge Köpfe und neue Ideen zusammenbringen, um Deutschland zum führenden Standort für die Mobilität der Zukunft zu machen – Wohlstand morgen gibt es nur mit Innovation jetzt“ [4]. Die späte Einsicht politischer Entscheidungsträger auf eine „Mobilität der Zukunft“ zu setzen, kommt nicht von ungefähr. Die erfolgreiche Lobbyarbeit der Automobilindustrie bis in die höchsten Gremien der Politik in den vergangenen Jahrzehnten sorgte für Kontinuität. Darauf konnten sich die Automobilbosse verlassen. Das Hauptargument: Arbeitsplätze. Für Politiker ein heißes Eisen bei geschätzten 1,8 Millionen Arbeitsplätzen, die direkt oder indirekt von der Autoindustrie abhängig sind. Wen wundert es, dass sich weder Bundespolitiker noch Ministerpräsidenten bis dato an die heilige Kuh der Automobilbranche trauten. Und das ist ein Grund, warum wir mit der Mobilität der Zukunft hierzulande dort stehen, wo wir stehen – teils am Anfang.

Steigender Pkw-Bestand und die Mobilität der Zukunft

Das Wirtschaftsmagazin „Brand eins“ titelte 2020 in einem Beitrag: „Mobilität – Fortbewegung mit Sinn“ und kommt zu der Erkenntnis, dass der Preis für unsere Mobilität hoch sei. Eine schlichte Schlussfolgerung des Beitrags lautet: „Die beste Möglichkeit, ihn zu senken, ist die Vermeidung unnötigen Verkehrs“ [5]. Dass diese einfache Gleichung zu unterschiedlichen Ergebnissen führen kann, das zeigt sich bei einem Blick auf die Verkehrsprobleme – quer durch die Republik. Die Gründe sind vielfältig und so gesellt sich Bequemlichkeit zu mangelnden Alternativen im öffentlichen Nahverkehr, Geländewagen-Prestige zu Insellösungen unterschiedlicher Mobilitätsanbieter. Die Auflistung ließe sich beliebig erweitern; auch in Baden-Württemberg, wo laut dem Statistikportal „Statista“ im Januar 2020 über 6,7 Millionen Personenkraftwagen (Pkw) registriert waren. Damit stieg der Pkw-Bestand um über eine Million Fahrzeuge seit 2008 [6]. Wen wundert es, wenn das „Ministerium für Verkehr Baden-Württemberg“ auf den eigenen Seiten verkündet: „Die grün-schwarze Landesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, Baden-Württemberg zum Wegbereiter einer modernen und nachhaltigen Mobilität der Zukunft zu machen.“ Nun versetzt der politische Glaube allein noch keine realen Berge. Was es vielmehr braucht sind umfassende und nachhaltige Lösungen im Sinne einer wirklichen Mobilitätswende. Diese Lösungen können als Brücke dienen, hin zu einer neuen Mobilität, die „umwelt- und klimaverträglich, sozial, bezahlbar, wirtschaftlich effizient“ ist und gleichzeitig die „Lebensqualität“ sichert, wie es das Verkehrsministerium umschreibt [7].

Von Brücken zur Pionierregion

Brücken im übertragenen Sinne baut die Nahverkehrsgesellschaft Baden-Württemberg mbH, kurz NVBW, in ihrer täglichen Arbeit. Genauer gesagt berät und unterstützt die NVBW das Ministerium für Verkehr in Baden-Württemberg seit 1995 mit dem Ziel, das Land zur Pionierregion für nachhaltige Mobilität zu machen. In einem Vortrag im Rahmen des vergangenen Kommunalen GIS-Forums Mitte November letzten Jahres zeigte Clemens Behr, NVBW, Team Digitale Mobilität, das breit gefächerte Aufgabenspektrum mit Blick auf zukünftige Mobilitätslösungen. Dieses erstreckt sich von der Planung und Entwicklung von Verkehrsangeboten über Informationssysteme zur Mobilität bis zur Förderung neuer Mobilitätsbereiche.

C. Behr beschreibt die ambitionierten Ziele des Landes Baden-Württemberg, die Emissionen im Verkehr um 40 Prozent bis ins Jahr 2030 zu reduzieren. Konkret heißt das: Mehr öffentlicher Personennahverkehr, mehr klimaneutrales Auto fahren, sowie selbst aktiv zu sein – sei es mit dem Rad oder zu Fuß. Dies muss über ein gutes Informationsangebot an die Bürger herangetragen werden. Für C. Behr geht es darum, „den Bürgerinnen und Bürgern über Daten das bereits vielfältige und sich stetig im Ausbau befindliche Mobilitätsangebot aufzuzeigen“. Das dahinterstehende Ziel ist ein nachhaltiger Mobilitätswandel.

Um diesen Weg zu unterstützen, betreibt die NVBW die Mobilitätsdatenplattform „MobiData BW“. Die seit September 2020 zugängliche Plattform bündelt unter anderem Informationen zur Verkehrssteuerung von Kommunen und Betrieben im Umfeld der öffentlichen Hand. Zudem stellt MobiData BW den Open-Service-Gedanken als Grundlage einer vernetzten Mobilität in den Mittelpunkt. Auf den NVBW-Seiten heißt es: „MobiData BW ist eine verkehrsträgerübergreifende Plattform für mobilitätsrelevante Daten“ [8]. Doch MobiData BW ist nach den Aussagen C. Behrs nicht nur eine Datenplattform, sondern auch eine Service- und Vernetzungsstelle rund um das Thema Mobilitätsdaten. In einem Interview mit unserer Redaktion ergänzt er: „Datenstandards, Lizenzen und kleinteilige Datenräume stellt das Land vor die Herausforderung, dass die Verknüpfung verschiedener Mobilitätsanbieter kosten- und ressourcenintensiv ist.“Die Mobilitätsdatenplattform „MobiData BW“ bündelt unter anderem Informationen zur Verkehrssteuerung von Kommunen und Betrieben im Umfeld der öffentlichen Hand. Bild: MobiData BW


Ein ausführliches Interview mit Clemens Behr: „Es geht um positive Beispiele“ finden Sie in der gis.Business 1/2021.


Dass eine solche Plattform ein wichtiges Puzzlestück des Ganzen sein kann, um zu einer zukunftsgewandten Mobilitätsstrategie zu gelangen, steht außer Frage. Der Erfolg von Mobilitätsplattformen, wie MobiData BW, hängt wesentlich von der Qualität der bereitgestellten Daten und Dienste ab. Gelingt dieser Qualitätssprung, wird Mobilität nicht nur neu gedacht, sondern vor allem alltagstauglich umgesetzt. Doch dazu braucht es wirkliche Alternativen. C. Behr umschreibt es so: „Wenn die Menschen merken, dass weniger verstopfte Innenstädte, weniger Lärm und Abgase eine höhere Lebensqualität für alle bedeuten, dann machen sie gerne mit und nutzen neue Mobilitätsformen beziehungsweise kombinieren sie mit dem eigenen Auto oder der Bahn.“ Und dann wird es vielleicht leichter, auf die Überholspur und damit schnell in Richtung neuer Mobilitätskonzepte und -lösungen zu gelangen.

Quellen:

[1] https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/corona-krise-rad-auto-bahn-die-verkehrswende-steht-vor-dem-aus-16746069.html"

[2] https://www.tagesspiegel.de/berlin/millionendefizite-fuer-die-bvg-30-prozent-weniger-fahrgaeste-in-der-coronakrise-in-berlin/26682760.html

[3] https://www.zeit.de/mobilitaet/2021-01/maut-untersuchungsausschuss-andreas-scheuer-pkw-maut-bundesverkehrsminister-aussage

[4] https://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Pressemitteilungen/2021/005-scheuer-deutsches-zentrum-mobiliaet-der-zukunft.html

[5] https://www.brandeins.de/magazine/brand-eins-wirtschaftsmagazin/2020/unternehmertum/mobilitaet-fortbewegung-mit-sinn

[6] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/255176/umfrage/bestand-an-pkw-in-baden-wuerttemberg/

[7] https://vm.baden-wuerttemberg.de/de/verkehrspolitik/nachhaltige-mobilitaet/

[8] https://www.e-mobilbw.de/service/meldungen-detail/mobilitaetsdatenplattform-mobidata-bw-ist-live