Smarte Aussichten

Andreas Eicher

„Ah, ich drehe schon seit Stunden

Hier so meine Runden

Es trommeln die Motoren

Es dröhnt in meinen Ohren

Ich finde keinen Parkplatz (...)“.

Das sang Herbert Grönemeyer in seinem Lied „Mambo“. Erschienen ist der Song auf der Langspielplatte „4630 Bochum“ im Jahr 1984. Also zu einer Zeit, als Postleitzahlen noch vierstellig waren, sich die Ruhrgebiet-Städte grau und die Straßen vom Pkw-Verkehr verstopft zeigten. Nun könnte Mann und Frau meinen, dass sich die Zeiten geändert haben. Teils, denn die rauchenden Schlote im Pott verschwanden, das Ruhrgebiet wurde grüner und die Luft ist mittlerweile zum Atmen geeignet. Was indes blieb, ist der Verkehr.

Städte in digitaler Hand (Quelle: stock.adobe.com_jamesteohart)

Städte in digitaler Hand (Quelle: stock.adobe.com_jamesteohart)

Morgen startet die Intergeo 2020 – nicht in Berlin, sondern als erste rein digitale Veranstaltung. Aufgrund der Corona-Krise fällt das analoge Schlendern durch die Messehallen und das Netzwerken mit anderen Ausstellern und Besuchern in diesem Jahr flach. Somit steht die Leitmesse für Geodäsie, Geoinformation und Landmanagement ganz im Zeichen des virtuellen Austauschs. Die Veranstalter sprechen von über 200 Ausstellern mit Lösungen aus den Bereichen „Geo-IT, Drohnen, BIM und Smart City“. Gerade die intelligenten Stadtvorhaben sind nicht nur seit Jahren ein Dauerbrenner auf der Intergeo mit der eigens dafür geschaffenen „Smart City Solutions“. Sie stehen auch ganz oben auf der Agenda vieler Städte und Kommunen, bei Start-ups und großen Digitalunternehmen. Für Erstere, weil sie unter einem permanenten Veränderungsdruck von Innen und Außen stehen. Für Letztere, weil sie Technologien versprechen und verkaufen, um Städte in eine moderne und nachhaltige Zukunft zu begleiten.


Einen ausführlichen Beitrag zum Thema „Smart City an der Ostsee“ finden Sie in der gis.Business 5/2020.


Vom Fordern und Fördern der Mobilität

Dass dieser Weg nicht immer im Einklang zwischen den Verantwortlichen in Rathäusern und denen in schicken Loft-Büros und markanten Firmenzentralen verläuft, das zeigt sich beispielhaft am Mobilitätsdenken. Gefordert werden hier wie dort Lösungen für die zukünftige Mobilität in Städten.
Sichtbar gefördert kommen meist Einzelinitiativen zum Einsatz – von E-Autos und Ladestationen über Parkleitsysteme bis zum besseren Verkehrsfluss. Also ein anachronistisches Denken und Handeln, mit wenig Vernetzung unterschiedlicher Verkehrsmittel, aufbauend auf dem motorisierten Individualverkehr ganz nach dem Geschmack der Automobilbranche. Das widerspricht der Forderung nach Verkehrskonzepten, die vor allem den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) und alternative Fortbewegungsmittel in den städtischen Mittelpunkt stellen. So heißt es beispielsweise auf den Seiten des Fraunhofer-Instituts für Offene Kommunikationssysteme: „Intelligente Verkehrsplanung, Förderung des Nahverkehrs und eine bessere Vernetzung aller Verkehrsteilnehmenden in einer stadtweiten Kommunikationsinfrastruktur sind die Kennzeichen einer Smart City. Weniger Staus, weniger Autos in der Innenstadt und der Ausbau eines weitgehend emissionsfreien Nahverkehrsnetzes haben letztendlich positive Auswirkungen auf die Umwelt und die Lebensqualität in Städten“ [1]. Eine stimmige Aussage, die jedoch in den Konjunktiv gesetzt werden muss. Denn hierzulande sind wir von einer solchen Idee meist weit entfernt. Denn die Realität sieht mit steigenden Sport-Utility-Vehicles-(SUV-)Zahlen, den täglichen Staus in Städten und zugeparkten Straßen anders aus. Und auch der heftig in der Kritik stehende Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer setzt zu wenig auf nachhaltige Verkehrskonzepte in den Städten. Die Zeit schrieb in diesem Zusammenhang in einem Kommentar von 2019: „Höhere Bußgelder, grüner Pfeil für Radfahrer: Die Pläne von Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer sind viel zu zaghaft. Eine echte Verkehrswende muss radikaler sein“ [2]. Doch die Kritik an seiner Person dürfte an ihm abprallen, denn „Scheuer sei clever und wurstele sich durch“, wie die Zeit im Oktober in einem Beitrag zu: „Ellbogen raus“ ein Mitglied des Verkehrsausschusses zitiert [3]. Und so dürften durchgängige Verkehrskonzepte für eine Mobilität der Zukunft weiterhin vor sich dahinplätschern.

Digitaler Optimierungszwang

Das wiederum freut Unternehmen aller Couleur, die munter ihre Teilchen zum Großen und Ganzen des „digitalen Optimierungszwangs“ in den Städten einbringen können. Das Ziel dahinter formuliert ein Teilnehmer der Intergeo Digital wie folgt: „Den urbanen Raum digitalisieren, um ihn bestmöglich zu nutzen“, um dann gleichzeitig anzuschließen: „Unsere Technologie ist dabei einzigartig“ [4]. Hier paart sich digitale Technologiegläubigkeit mit Eigenwerbung. Im Umkehrschluss sei die Frage erlaubt, welche Rolle den Menschen in einer digitalen Stadt der Zukunft zukommt. Sind sie reine Datenlieferanten? Abhängig von Apps, Sensoren und sonstiger digitaler Technologie? Oder können sie selbstbestimmt und frei zwischen einem analogen und digitalen Weg wählen? Eine Antwort, mit Blick auf die Mobilität, lieferte im vergangenen Jahr Burkhard Jung, Präsident des Deutschen Städtetags, wenn er sagt: „Digitale Produkte und Dienstleistungen im Verkehrsbereich versprechen da einiges.“ Doch er erkennt auch: „Letztlich werden wir entscheiden müssen: Was ist wirklich sinnvoll und was ist bezahlbar, um die Lebensqualität der Menschen weiter zu verbessern und unsere Städte zu lebenswerten Orten zu machen? [5].
Die Menschen stärker ins Zentrum der Smart-City-Diskussion stellen, sollte ein primäres Ziel sein. Oder wie es „Netzpolitik.org“ bereits 2017 formulierte: „Neue Technologien müssen an Menschen und Orte angepasst werden“ [6]. Denn geht der Weg digitaler Abhängigkeiten weiter wie bisher, so können Städte dies wohl in naher Zukunft nicht mehr alleine entscheiden. Das heißt, unter dem Schlagwort der „Technologieabhängigkeit“ von Kommunen, dass große Digitalkonzerne – von Cisco über Google bis zu Microsoft – zunehmend die Oberhand in vielen Städten erlangen und ihre Unternehmenspolitik vor Ort und unter dem Deckmantel intelligenter Stadtlösungen ausspielen. Smarte Aussichten für die digitale Branche.

Quellen:

[1] https://www.fokus.fraunhofer.de/smart_cities_lab/themen/mobilitaet

[2] https://www.zeit.de/mobilitaet/2019-08/andreas-scheuer-verkehrswende-verkehrsminister-autofahrer-massnahmen?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com%2F

[3] M‘Barek, Yasmine: Ellbogen raus. In: Die Zeit (2020), Nr. 42, S. 9

[4] https://www.intergeo.de/de/news/staedte-muessen-macht-der-daten-verstehen 

[5] https://www.staedtetag.de/presse/pressemeldungen/wir-alle-gestalten-mit

[6] https://netzpolitik.org/2017/zur-diskussion-sechs-anforderungen-fuer-smart-cities/