BIM in der Kultur: vom analogen Vordenken zum „digital first“

Andreas Eicher

Der Spannungsbogen politisch und kulturell geprägter Gebäude zeigt sich hierzulande wohl in kaum einer anderen Stadt so deutlich, wie in Hamburg. Hier das kommende Überseequartier oder die Elbphilharmonie. Dort das Gängeviertel sowie die Rote Flora. Je nach Weltsicht interpretieren die Akteure ihre Kultur- und Freizeitinsel und geben den jeweiligen Weg auch programmatisch vor. „An einem historischen Ort steht einer der wohl spektakulärsten Neubauten Hamburgs. Ein Konzerthaus und Wahrzeichen von Weltrang“ heißt es beispielsweise zur Elbphilharmonie. Und auch die weniger an Glanz und Glimmer interessierte Gegenseite weiß sich wortstark zu erklären: „Die Rote Flora ist kein Wohnraum, sondern ein Zentrum für emanzipatorische Politik und Kultur.“

Kultur im Alltag (Quelle: Andreas Eicher)

Kultur im Alltag (Quelle: Andreas Eicher)

An diesen Gegensätzen zeigt sich, wie Kultur teils (miss-)verstanden wird und als reines Aushängeschild einer politischen und städtebaulichen Geisteshaltung dient. Kultur im modernen Sinne heißt immer auch fortschrittlich denken und bauen. Das große Vorzeigen zählt, das Repräsentieren in Form und Farbe. Hier unterscheiden sich die kulturellen Epochen der Vergangenheit wenig mit der heutigen. Das heißt: Kulturtempel sind stets ein Spiegelbild ihrer jeweiligen Zeit – ob im antiken Griechenland, im Römischen Reich, in der höfischen Kultur des Mittelalters oder im Jugendstil zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Was indes beim Planen und Bauen moderner Kulturtempel neu hinzukommt, das sind die digitalen Möglichkeiten unserer Zeit. Und die heißen zuvorderst digitales Bauen mithilfe des Building Information Modeling (BIM).

„Elphi“: 2-, 3- und 4-D

Zurück nach Hamburg. Dort war der Weg steinig und lang. Nach vielen politischen Querelen und rund zehnjähriger Bauzeit folgte Anfang 2017 die Fertigstellung des neuen kulturellen Wahrzeichens Hamburgs, der Elbphilharmonie (Spitzname: Elphi). Als ein „Kulturdenkmal für alle“ ist das 110 Meter hohe Gebäude im neuen Stadtteil HafenCity weithin sichtbar. Das Gebäude mit seiner Glasfassade passt so recht in das Bild einer sonst austauschbaren Architektur, die sich überall in den Städten und ihren Neubauvierteln – gerne auch „Quartiere“ genannt – breitmacht. Doch bleiben wir bei der Elbphilharmonie. Bei Planung und Bau des Kulturtempels wurde von Beginn an auf das digitale Bauen gesetzt. Federführend beteiligt war unter anderem das Unternehmen Hochtief Vicon mit Sitz in Essen. Als Anbieter von Dienstleistungen im Bereich des virtuellen Bauens und des Building Information Modeling (BIM) unterstützte Hochtief bereits in der Angebotsphase mit einem 3D-Gebäudemodell und einer Videoanimation. Nach Aussage des Unternehmens wurde das 3D-Modell „im Laufe des Projekts regelmäßig auf Basis von 2D-Plänen aktualisiert“. Und weiter heißt es: „Das Modell bildete die Grundlage für die 3D-TGA-Kollisionsprüfung (…). Auf den interaktiven Projektionsflächen konnten die Pläne und Modelle mit Anmerkungen versehen und an die Fachplaner versendet werden.“ Zudem nutzte Hochtief das Modell für die 4D-Bauablaufplanung [1].

Kulturell „hoch hinaus“ geht es bei der Elbphilharmonie (Quelle: Andreas Eicher)

Das Humboldt Forum und die Qualitätssicherung

„Im Dezember eröffnet das neue Humboldt Forum“. So steht es auf den hauseigenen Internetseiten des Prestigebaus „Mitten im historischen Zentrum Berlins“ [2]. Zu sehen ist auf den Seiten ein Zeitraffer des Baufortschritts sowie der letzten Feinarbeiten von Künstlern, Restauratoren und Technikern. Das Video vermittelt die Aussage: Wir sind fast so weit, befinden uns auf der Zielgeraden. Endlich denkt sich mancher Interessent, schließlich war die Eröffnung des Humboldt Forums bereits für Mitte 2019 geplant. Nun also Ende des Jahrs, aber ein „bisschen BER steckt überall drin“, wie der Tagesspiegel im Sommer 2019 feststellt, und kontert Kritiker: „Im Vergleich schlägt sich das Humboldt Forum gut.“

Das Humboldt Forum: ein neuer Kulturtempel in Berlin (Quelle: Andreas Eicher)

Die Baukosten von rund 600 Millionen Euro sind offenbar noch einzuhalten. Auch ein Verzug von sechs oder acht Monaten stellt keine Katastrophe dar“ [3]. Das Projekt gilt als Pilot im BIM-Bereich mit einem Schwerpunkt in den Bereichen der „Kollisionsprüfungen und Qualitätssicherung“. Laut Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR) heißt das unter anderem die „Koordination und Integration der 3D-Fachplanungen (...)“, die „visuelle Erschließung der technischen Installationen/Leitungsführungen (...)“ sowie die „Sicherung der Planungsqualität durch Kollisionsprüfungen (...)“ [4].

Kulturtempel der Moderne

Frankfurter Zeitung, 12.10.1926: „Von allen Eigenschaften eines Bauwerks erhält sich die Prahlsucht am längsten (...)“. Was der Literat Joseph Roth in seinem Reisebericht zu: „Die Wunder von Astrachan“ vor fast 100 Jahren schrieb, ist auch heute in vielen Städten sichtbar: die Prahlsucht – von Hamburg bis Berlin, von Köln bis München. Neben Unternehmensgebäuden findet sich das Prahlen in Stein, Stahl und Glas und Holz vielfach in Kulturtempeln der Moderne. Höher, schneller, aufwendiger – so die Devise vieler Verantwortlicher in den Millionenstädten. Davon nicht verschont bleibt der Kulturbetrieb. Den handelnden Personen in den Städten ist es nicht zu verübeln. Gerade aufgrund eines zunehmenden Konkurrenz- und Verdrängungskampfs zwischen den Städten, der in den letzten Jahrzehnten im Zuge eines neoliberalen Zeitgeists Einzug in den Amtsstuben gehalten hat. So geht es auch im städtischen Umfeld um das freie Spiel der Kräfte. Sehr gelegen kommt das allen möglichen Lobbygruppen.


Einen ausführlichen Beitrag zum Thema „Die Kultur baut auf BIM” finden Interessenten in der gis.Business 4/2020.


Eine Ausstellung mit dem Namen „Zugang für Alle“ aus dem vergangenen Jahr im Architekturmuseum der Technischen Universität München übte scharfe Kritik am sogenannten Bilbao-Effekt. Dabei gehe es um die Schaffung monofunktionaler „Signature Architecture“ durch berühmte Architekten [5]. Diesen Weg wollen und können nicht alle Städte und Menschen gehen, wie beispielsweise in der Roten Flora. Gut so. Denn am Ende steht die Kultur für alle als erfahrbare Begegnungsstätte und nicht dafür (wie Joseph Roths Eingangszitat endet), dass „(…) noch der letzte Ziegelstein protzt“. Und das kann auch BIM im Kulturbereich nicht ändern. Trotz neuer Baumethoden im Modus 4.0 und BIM, der sich in immer mehr kulturellen Leuchttürmen manifestiert. Von daher gilt: vom analogen Vordenken zum „digital first“.


Quellen:

[1] https://www.hochtief-vicon.de/vicon/Referenzen/Technische-Komplexitaet-wird-im-Modell-beherrschbar-2_4.jhtml

[2] https://www.humboldtforum.org/de/

[3] https://www.tagesspiegel.de/kultur/falsche-hysterie-um-das-humboldt-forum-die-bauverzoegerung-ist-nicht-das-problem/24454778.html

[4] https://www.jade-hs.de/fileadmin/fb_bauwesen_geoinformation/BIMTag/2017/Download/3A-1_Reif_Vertragsvorbereitung-fuer-BIM-Projekte_4-BIMTag.pdf

[5] https://www.architekturmuseum.de/ausstellungen/zugang-fu%cc%88r-alle/