Wissenschaft & Forschung

Österreich immer stärker zersiedelt

Eine Auswertung aktueller Siedlungsdaten zeigt, dass die Zersiedelung Österreichs seit 1975 rapide steigt.

Blick auf Feldkirchen in Kärnten (Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/file:Feldkirchen_Nordwestansicht_Flugaufnahme_141226a.jpg). Bild: Wikipedia/joadl/Cc-by-sa-3.0-at

Von 1975 bis 2020 hat sich der Siedlungsraum in Österreich radikal gewandelt: von größtenteils gering zersiedelt zu überwiegend hoch zersiedelt. Das ist das Ergebnis einer gemeinsamen Studie der Universität für Bodenkultur (Boku) in Wien und des Leibniz-Instituts für ökologische Raumentwicklung (IÖR) in Dresden. Die alarmierenden Befunde wurden nun in Wien präsentiert und sind in einem Working-Paper nachzulesen.

Siedlungsraum in Österreich untersucht

Zum ersten Mal konnten die Forschenden Ausmaß und Entwicklung der Zersiedelung in Österreich derart präzise flächendeckend und über einen Zeitraum von 45 Jahren analysieren. Der rasante Bodenverbrauch ist in Österreich ein heiß diskutiertes Thema. Die aktuelle Studie liefert in diesem Zusammenhang neue Erkenntnisse. Sie macht deutlich, dass bestehende raumplanerische Instrumente zur Eindämmung der Zersiedelung nicht ausreichen oder nicht konsequent genug zur Anwendung kommen.

Von Zersiedelung sprechen Fachleute, wenn sich Siedlungen in die Landschaft außerhalb kompakter Siedlungsstrukturen ausbreiten. Gekennzeichnet sind zersiedelte Gebiete meist durch eine geringe bauliche Dichte. Das heißt, vergleichsweise wenige Gebäude nehmen eine überproportional große Fläche in Anspruch. Diese Art der Bebauung verursacht einen besonders hohen Flächenverbrauch pro Person und ist äußerst ressourcenintensiv. Durch die Notwenigkeit, diese Gebiete infrastrukturell anzuschließen und zu versorgen, geht Zersiedelung mit vielen negativen Folgen für Umwelt und Klima einher. Für den Grad der Zersiedelung ist zudem die Nutzungsdichte, also die Anzahl an Einwohner pro Flächeneinheit entscheidend. Bislang konnte die Zersiedelung in Österreich noch nicht über einen längeren Zeitraum mit hoher räumlicher und zeitlicher Auflösung systematisch erfasst und dargestellt werden. Neueste satellitenbasierte Siedlungsdatensätze machen dies zum ersten Mal möglich.

Für die Untersuchung haben das Institut für Soziale Ökologie der Boku in Wien und das Dresdner Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung (IÖR) Daten des Global Human Settlement Layer genutzt, den die Gemeinsame Forschungsstelle/Joint Research Centre der Europäischen Kommission erarbeitet und frei zur Verfügung stellt. Auf Basis dieser Daten ließ sich der Grad der Zersiedelung in Österreich von 1975 bis 2020 in Fünfjahresschritten kartieren. Mit einer Rasterzellenauflösung von 100 x 100 Metern (entspricht einer Fläche von einem Hektar) zeigen die entstandenen Karten eindrucksvoll den rasanten Anstieg der hoch zersiedelten Flächen und identifizieren die Gebiete mit der stärksten Zunahme.

„Zwischen 1975 und 2020 wuchs die Fläche der bebauten Rasterzellen in Österreich von rund 9.000 auf etwa 12.700 Quadratkilometer – also nahezu um die Fläche des Burgenlands“, erläutert Studienautorin Anna-Katharina Brenner vom IÖR und dem Institut für Soziale Ökologie an der Boku. Der Anteil der bebauten Rasterzellen am „Dauersiedlungsraum“, also dem Raum, der für Landwirtschaft, Siedlung und Verkehrsflächen zur Verfügung steht, stieg damit bis 2020 auf 39%. 1975 waren noch 73% der bebauten Flächen gering oder sehr gering zersiedelt, 2020 waren es nur noch 35%. Im gleichen Zeitraum wuchs die hoch und sehr hoch zersiedelte Fläche um das Fünffache – von etwa 1.100 auf rund 5.800 Quadratkilometer. „Wir befinden uns in Österreich auf einem Highway to Sprawl“, so Brenner. Sie kommt zu dem Schluss, dass „der rapide Anstieg der Zersiedelung in Österreich das Resultat einer Politik ist, die jahrzehntelang den Bau von Einfamilienhäusern, großflächigen Gewerbegebieten und Einkaufszentren auf der grünen Wiese zugelassen hat.“

Analysen für alle österreichischen Bundesländer

Der Vergleich der verschiedenen österreichischen Bundesländer zeigt signifikante Veränderungen in Oberösterreich, Kärnten und der Steiermark. In diesen Bundesländern vergrößerte sich die Fläche der bebauten Rasterzellen, die als sehr hoch zersiedelt gelten können, im Untersuchungszeitraum um das Acht- bis Dreizehnfache.

Alpin geprägte Bundesländer sind im Vergleich zu anderen Bundesländern, mit Ausnahme von Wien, weniger stark zersiedelt. Dennoch nahm auch in diesen Regionen der Grad der Zersiedelung zwischen 1975 und 2020 stark zu, insbesondere im Verhältnis zum potenziell besiedelbaren Raum (Dauersiedlungsraum), der in den gebirgigen Bundesländern nur einen geringen Anteil an der Landesfläche ausmacht.

Im Jahr 2020 waren Burgenland, Niederösterreich und Oberösterreich die am stärksten zersiedelten Bundesländer. In diesen Regionen können mehr als 50% der bebauten Rasterzellen als potenziell hoch und sehr hoch zersiedelt angesehen werden. Im Verhältnis zum Dauersiedlungsraum ist der Anteil der potenziell hoch und sehr hoch zersiedelten bebauten Fläche in Oberösterreich mit 20% am stärksten ausgeprägt, verglichen mit Burgenland und Niederösterreich.

Zersiedelungsgrad und Bebauungstrends

In Österreich stehen die Reduzierung und Unterbindung der Zersiedelung seit Jahren im Fokus politischer Diskussionen und sind Teil nationaler Klima- und Bodenschutz-Strategien. „Zersiedelte Strukturen gefährden das Erreichen von Klima- und Naturschutzzielen. Sie sind eine ökologisch besonders belastende Form der Bebauung: Für jede neue Wohnung, für jeden neuen Arbeitsplatz wird die meiste Landfläche benötigt“, betont Mitautor Helmut Haberl vom Institut für Soziale Ökologie an der Boku. Ihre Errichtung sei besonders ressourcenintensiv, da längere Verkehrswege gebaut werden müssten. Auch die Nutzung führe zu höheren Emissionen, beispielsweise durch den hohen Mobilitätsbedarf und die erschwerte Versorgung mit klimaverträglicher Energie wie Fernwärme, so Haberl weiter. „Die Studie zeigt, dass fast 40% der einen Hektar großen Rasterzellen im Dauersiedlungsraum bebaut sind, was bisher unbekannt war. Besonders besorgniserregend ist, dass die landfressendste und ressourcenintensivste Form der Bebauung, also jene mit einem sehr hohen Zersiedelungsgrad, am schnellsten wächst.“

Bedeutung der Zersiedelung für den Klimaschutz

Täglich verliert Österreich rund zwölf Hektar an natürlichem Boden. Mehr als die Hälfte davon wird asphaltiert oder zubetoniert. „Das hat erhebliche Auswirkungen auf das Klima: Böden binden Treibhausgase aus der Atmosphäre“, machte Katharina Rogenhofer vom Kontext Institut für Klimafragen bei der Präsentation der Studienergebnisse in Wien deutlich. Besonders effektiv seien dabei intakte Moore. Aber auch Grünland, Wälder und nachhaltig bewirtschaftete Äcker können CO2 speichern. Gut bewässerte Böden kühlen zudem gemeinsam mit der Vegetation die Umgebung. „Die Bedeutung funktionsfähiger Böden hat sich besonders in den vergangenen Wochen gezeigt: Sie sind entscheidend, damit Wasser gut versickern kann. Fehlen sie, werden Katastrophen wie Überschwemmungen und Erdrutsche häufiger und gravierender.“

Maßnahmen zur Eindämmung von Zersiedelung

„Trotz einiger Anstrengungen in den letzten Jahren konnten noch immer keine signifikanten Erfolge bei der Lösung dieses Problems erzielt werden. Es wird weiterhin gebaut und verbaut“, betont Mitautor der Studie Gernot Stöglehner vom Institut für Raumplanung, Umweltplanung und Bodenordnung an der Boku. Dabei seien wirksame Maßnahmen längst bekannt: „In der Raumplanung könnten beispielsweise überörtliche Baulandgrenzen für alle Ortschaften im Rahmen einer gestärkten Regionalplanung festgelegt werden. Innerhalb dieser Baulandgrenzen sollten Wohnen, Arbeiten, Einkaufen, Erholung und Bildung nach dem Prinzip der kurzen Wege und in maßvoller Dichte angesiedelt werden.“ Statt „auf der grünen Wiese“ zu bauen, sollten verstärkt Baulücken und Nachverdichtungspotenziale innerhalb von Siedlungen genutzt werden. Um dies zu ermöglichen, müsse mehr Bauland verfügbar gemacht werden. „Die Belassung von Baulücken und Leerstand sollte Kosten verursachen, insbesondere durch eine eigene Grundsteuerkategorie.

Ein quantitatives Bodenschutzziel ist notwendig, um wirksame Strategien zur Reduktion der Flächeninanspruchnahme zu etablieren“, so Stöglehner. In diesem Zusammenhang sei die hier vorgelegte Messung des Zersiedelungsgrades hilfreich.

Weitere Handlungsempfehlungen formulieren die Forschenden in ihrem frisch erschienenen Working Paper, das die Ergebnisse der Untersuchung zusammenfasst.

Weitere Informationen unter www.ioer.de

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