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Von Datenräumen und -strömen

Just am Weltglückstag, den die Vereinten Nationen in der „UN-Resolution 66/281“ im Jahr 2012 beschlossen und der seit 2013 immer am 20. März gefeiert wird, startete die Münchner GI-Runde 2023. Erstmals nach der Corona-Pandemie wieder als Präsenztagung vor Ort an der Technischen Universität München (TUM). Welch ein Glück für den Veranstalter des Runden Tisch GIS e. V. und die über 170 Teilnehmer. Wir blicken in einem Vierteiler zurück auf eine zweittägige Fachkonferenz mit einem Füllhorn an Themen. Die fingen bei digitalen Zwillingen an und hörten beim Wassermanagement, der Mobilität sowie Datenräumen und der Zukunft vernetzter Systeme noch nicht auf. Nicht zu vergessen die Vergabe des Nachwuchsförderpreises.

Ein Landschaftsmodell des Lehrstuhls für Angewandte Geoinformatik der Universität Augsburg, präsentiert im Rahmen der Ausstellung zur Münchner GI-Runde 2023 an der TU München. Bild: Andreas Eicher

Mit Blick auf Datenräume und -ströme eröffnete Prof. Josef Strobl, Universität Salzburg, die Münchner GI-Runde. Unter dem Titel: „Geo Spatial Ecosystems“ startete er seine Keynote mit einem Blick in die Vergangenheit. Das heißt, wie Daten und Services mittels Top-down-Prozessen in der Geo-IT-Welt etabliert wurden – inklusive einer zentralen Datenhaltung mit Download-Möglichkeiten. „Seither hat sich viel getan“, so Prof. J. Strobl und meint: „Dienste anstelle von Daten“. Und die Daten nehmen stetig zu, sei es mittels Sensoren oder durch Nutzer, die ebenfalls Daten generieren. Bestes Beispiel sind Positionierungsdienste. Prof. J. Strobl in diesem Zusammenhang: „Immer wenn wir uns bewegen, generieren wir Daten.“ Nicht zu vergessen Apps oder Social-Media-Anwendungen. Dabei sind viele dieser Datenströme nicht zum Aufzeichnen geeignet. Vor diesem Hintergrund brauche es nach Prof. J. Strobls Ansicht Filter, um Informationen besser zu selektieren, aber auch Standards und vor allem ein schnelles Internet.

Die Kopplung der realen Welt mit der digitalen Welt

Letzteres ist eine Grundvoraussetzung, um mit den enormen Datenströmen von heute und morgen sinnvoll arbeiten zu können. Im Kontext der Geodateninfrastrukturen spricht Prof. J. Strobl von der Kopplung der realen Welt mit der digitalen Welt. Damit daraus ein Mehrwert entsteht, brauche es nach seiner Ansicht das stärkere in Wert setzen von Daten und Prozessen in der realen Welt. Oder anders formuliert: „Den Mehrwert von Daten zu Informationen zum Wissen“, so Prof. J. Strobls roter Faden hin von reinen Daten zum Wissenstransfer. Denn Daten sind nur ein Puzzleteil unter vielen. Dies vor Augen nennt Prof. J. Strobl das UN-GGIM Integrated Geospatial Information Framework (IGIF).

In diesem IGIF-Rahmenwerk werden die Abhängigkeiten der einzelnen Bereiche – von Daten und Standards über Innovation bis zu Partnerschaften und Finanzfragen – und noch mehr die Verzahnung selbiger deutlich. Prof. J. Strobl: „Wir können nur in einem vernetzten System funktionieren und agieren.“ Das Ganze korrespondiert mit der Idee, virtuelle Welten zu verknüpfen, um die reale Welt zu sehen.

Prof. Thomas H. Kolbe von der TUM und Vorstandsvorsitzender des Runden Tisch GIS e. V. spricht in diesem Zusammenhang von der Quadratur des Kreises. So stellt es seiner Ansicht nach eine besondere Herausforderung dar, wie man die für den verantwortlichen Betrieb erforderliche Zentralität und Finanzierung einerseits und die Öffnung für verteilte Nutzung und Angebote andererseits in einem funktionierenden Ökosystem zusammenbringen kann. Einem Ökosystem, das Stakeholder mehr und mehr miteinander verbindet und die gesamte Geoinformationslandschaft verändert.

Gaia-X, Catena-X und Inspire Experts

Apropos Veränderung. Wie Gaia-X die Geoinformationslandschaft verändern kann, zeigte Prof. Gerd Buziek, Esri Deutschland GmbH, in seinem Vortrag. Prof. G. Buziek, gleichzeitig Pate der Gaia-X-Domäne Geoinformation, räumte zu Beginn mit einem Mythos auf: „Es wird keine europäische Cloud-Lösung geben, die Gaia-X heißt.“ Stattdessen spricht er mit Blick in die Zukunft von einer verteilten Cloudstruktur, die entstehen könne. Dabei stellt der Geodatenraum einen gemeinsamen Raumbezug her, sei es zur Erdbeobachtung, in Bezug auf Fachinformationssysteme, aber auch bei der Nutzung von Sensordaten und 3D-Stadtmodellen. „Wir stehen vor der Aufgabe, diese unterschiedlichen Informationswelten miteinander zu verknüpfen“, so Prof. G. Buziek. Es gehe seiner Meinung nach darum, die unterschiedlichen Datenwelten zusammenzuführen, um in einer komplexen Welt einen Fortschritt zu erzielen. Hinsichtlich der globalen Datenökonomie malt Prof. G. Buziek ein klares Bild. Das zeigt eine eindeutige Übermacht der USA mit rund 74 Prozent in puncto Plattformökonomie, gefolgt von Asien (21 Prozent) und Europa mit vier Prozent. Ganz zu schweigen vom afrikanischen Kontinent, der gerade einen Prozentpunkt des Marktwerts beisteuern kann. Prof. G. Buziek zur Interpretation der Datenökonomie und Europa: „Wir sind nur ein kleiner Teil der digitalen Welt.“ Anders formuliert könnte es auch heißen: Die USA dominieren den Markt mithilfe großer Digitalkonzerne, während in Europa noch immer Start-up-Atmosphäre herrscht. Einen Grund für das Ungleichgewicht sieht der Gaia-X-Pate unter anderem in der europäischen Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) und den damit einhergehenden hohen Hürden im Umgang mit Daten. Dagegen werden Daten in den USA als Wirtschaftsgut mit wesentlich mehr Freiheitsgraden betrachtet. Zum weiteren europäischen Vorgehen zeigte der Esri-Manager die europäische Datenstrategie auf, die einen länderübergreifenden Datenfluss vorsieht. Die Merkmale der Strategie finden sich unter anderem in der Einhaltung hoher Datenschutzstandards sowie der Verfügbarkeit selbiger (Stichwort: High Value Datasets). Diese Datasets sollen auch als Open Data aus Inspire heraus nutzbar sein. Prof. G. Buziek nennt es in Gänze das Datenökosystem, vorangetrieben von der Wirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung, und meint: „Umsätze generieren“. Das sei mit Prof. G. Buzieks Blick als Unternehmensvertreter schließlich die Aufgabe von Firmen, auch um neue Arbeitsplätze zu schaffen sowie am Ende Marktwachstum zu erzielen. Neben der Entstehung einer neuen föderalen Dateninfrastruktur sieht Prof. G. Buziek die Zukunft unter anderem in privatisierten und kommerzialisierten Datenräumen, wie beispielsweise Catena-X.

Um Marktwachstum und Catena-X geht es in einer Branche, die sich inmitten eines starken Wandels befindet. Die Rede ist von der Automobilindustrie. Über die Herausforderungen sowie neue Wege im Umgang mit einem offenen und kollaborativen Datenökosystem für die Autobranche referierte Hagen Heubach von der SAP SE. Sein Thema: Catena-X. Der Global Vice President Industry Business Unit Automotive zeigte unter anderem auf, unter welchem Handlungsdruck die Autoindustrie heute steht.

Der fängt beim Thema resilienter Lieferketten an und reicht bis zu nachhaltigen Lösungen sowie geopolitischen und letztendlich ökonomischen Faktoren. Um den vielfältigen Themenstellungen im Automobilumfeld Rechnung zu tragen, wurde mit Catena-X ein kollaboratives sowie offenes Datenökosystem geschaffen, in dem „alle Akteure in durchgängigen Wertschöpfungsketten vernetzt“ sind. Auf den Seiten von Catena-X heißt es hierzu: „Die Transformation der Automobilwirtschaft ist in vollem Gange. Elektrofahrzeuge lösen Verbrenner ab. Kreislaufwirtschaft ermöglicht es, Ressourcen wiederzuverwerten. Gleichzeitig schafft die Digitalisierung völlig neue Möglichkeiten, Kundenwünsche zu erfüllen, Produktionsabläufe klimafreundlicher zu gestalten und erhöht ganz allgemein den Wettbewerbsdruck“. Dabei basiert das Ökosystem auf einer Systemarchitektur, die unter anderem auf Gaia-X aufbaut und ein resilienteres Lieferkettenmanagement zum Ziel hat. Aller Anfang war schwer und so gibt SAP-Manager H. Heubach zu bedenken, dass der Datenraum der Automobilindustrie alles andere als klein sei, inklusive China sowie den USA, mit über 275.000 Lokationen weltweit als auch unterschiedlichsten Softwareplattformen und Applikationen. Die Mühen für ein einheitliches Datenökosystem haben sich bis dato gelohnt, denn laut der Catena-X-Verantwortlichen sind bereits mehrere Open-Source-Komponenten verfügbar und „der Datenaustausch entlang der automobilen Wertschöpfungskette funktioniert“. Vor allem zeigt sich im Rahmen des Projekts, wie unterschiedliche Netzwerkpartner miteinander kooperieren, Daten organisationsübergreifend nutzen und verwerten – auf dem Weg hin zu einem global organisierten Netzwerk.

Dass Datenräume einen nicht zu unterschätzenden Mehrwert für Geodateninfrastrukturen haben können, das verdeutlichte Thorsten Reitz (Founder/CEO, Wetransform GmbH) in seinen Ausführungen. Das Darmstädter Unternehmen ist laut T. Reitz mit dem Ziel angetreten, Datenökosysteme im Bereich Umwelt und Geodaten zu befähigen. Was das bedeutet, bringt der Wetransform-Gründer auf den einfachen Nenner: „Das heißt, dass all diese Daten zugänglich werden, dass diese genutzt und gebraucht werden.“ Das Unternehmen setzt dabei seit vielen Jahren erfolgreich auf Inspire und bezeichnet sich selbst als „Inspire Experts“. Davon profitierten in den letzten Jahren rund 1.300 Organisationen, hauptsächlich in Deutschland.

Mit Blick auf den Geo- und Umweltbereich zeigt sich, dass es auch 15 Jahre nach der Inspire-Direktive noch an vielen Stellen hapert. T. Reitz nennt unter anderem den Aufbau paralleler Datenstrukturen, lange Verzögerungen beim Datenzugang oder mangelnde Effizienzgewinne bei der Datennutzung. Dies führt auch zu möglichen Risiken im Umgang mit Datenräumen, seien es beispielsweise die fehlenden rechtlichen Vorgaben zur Umsetzung und den damit zusammenhängenden Konsequenzen. Oder eine teils noch unreife Technologie und Infrastruktur. Bei allen Risiken bestehen auch Chancen. Hierzu zählen nach T. Reitz unter anderem der Zugang zu wertvollen Daten mit transparenten Bedingungen sowie die Dynamik im Technologie- und Rechtsumfeld.

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