Smart Mobility: Vom halb leeren Glas und dem Mut zur Veränderung

Andreas Eicher

August 2018, die Straße flimmert. "36 Grad - und es wird noch heißer" denke ich mir und an das Lied der Gruppe "2raumwohnung". Ich stehe an einer Ampel am Wiener Westbahnhof. Hier verläuft eine der Hauptverkehrsadern Wiens, der Gürtel. Autos stehen Stoßstange an Stoßstange und es riecht extrem nach Abgasen. Ich flüchte mich vor der Blechlawine mit ihrem CO2-Ausstoß in den Untergrund der U-Bahn-Station. Dort ist die Luft nicht wirklich besser, dafür kühl. Diese Momentaufnahme rund um den Wiener Westbahnhof ist kein Einzelfall.

Quo vadis Mobilitätskonzepte? (Bild: fotolia_kebox)

Quo vadis Mobilitätskonzepte? (Bild: fotolia_kebox)

In den rund fünf Tagen meines Wienaufenthalts bot sich mir täglich das gleiche Bild eines Individualverkehrs auf einer der meistbefahrenen Straßen, dem Wiener Gürtel. Keine Spaßveranstaltung für Fußgänger und Radfahrer. Ganz im Gegensatz zur Stadt Wien, deren Verantwortliche von einem positiven Trend sprechen: "Gegen die nationalen und internationalen Trends im Bereich des Individualverkehrs ist die Verkehrsmenge am Gürtel in den letzten Jahren eher gesunken als gestiegen." Als Gründe werden der "Ausbau des U-Bahn-Netzes mit Park-and-Ride und die Parkraumbewirtschaftung in den inneren Bezirken" angeführt [1]. Nun, meine Wahrnehmung war eine andere. Aber vielleicht war ich ja nur zur falschen Zeit am richtigen Ort oder sehe das Glas halb leer. Ganz im Gegensatz zu Wiens Mobilitätsverantwortlichen, die das "Fachkonzept Mobilität" propagieren. Dort heißt es: "Das Wiener Fachkonzept Mobilität ist eine konsequente Umsetzung der Vision einer Stadt, die im STEP 2025 formuliert wird. Die Mobilitätsangebote in Wien sollen fair, gesund, kompakt, ökologisch, robust und effizient sein." Von fair, gesund und ökologisch kann auf dem Gürtel nicht wirklich gesprochen werden. Und doch gibt das Konzept Hoffnung auf Besserung: "Wo künftig in neuen Stadtteilen zusätzliche leistungsfähige Straßen benötigt werden, werden diese stadtverträglich geplant. Es soll ausreichend Platz für den Fuß- und Radverkehr sowie den öffentlichen Verkehr geben. Es wird Wert auf eine ansprechende Gestaltung für eine hohe Aufenthaltsqualität gelegt. Es gilt, die Ressource städtische Infrastruktur möglichst effizient zu entwickeln und zu nutzen" [2]. Und damit wäre das Glas wieder halb voll.

Das Wachstum der Stadt und neue Verkehrskonzepte


Im Gegensatz zum Pro und Kontra zukünftiger Mobilitätsstrategien präsentiert sich Wien an vielen Orten tourismusfreundlich und bürgernah. Hier verkehrsberuhigte Zonen, ein gut ausgebautes U-Bahnnetz, Leihfahrräder und Carsharing. Dort die Donau als Treffpunkt für Menschen aller Couleur im Herzen der Hauptstadt, Cafes und Restaurants, sowie eine reichhaltige Kulturszene. Auch das ist Wien. 

Leben in Wien und am Fluss (Bild: Andreas Eicher)

Gleichzeitig müssen sich die Stadtoberen etwas einfallen lassen, wie die zunehmende Bevölkerung Wiens zukünftig effizient und nachhaltig von A nach B kommen soll. Denn die Prognosen sprechen von zwei Millionen Einwohnern im Jahr 2026 für die zweitgrößte deutschsprachige Stadt (Ende 2017 lebten 1,89 Millionen Einwohner in Wien, Anm. d. Red.).

Einen drastischen Weg des Mobilitätseinschnitts schlägt nun Frankfurt am Main ein. Die Stadt muss ein Dieselfahrverbot ab Februar 2019 auf Beschluss des Verwaltungsgerichts Wiesbaden umsetzen. Würde das Fahrverbot bereits in diesem Jahr bestehen, dürfte der eine oder andere Besucher der Intergeo in Frankfurt am Main nicht mehr mit seinem Diesel-Fahrzeug der Norm 4 und älter in die Stadt und zur Messe vorfahren. Doch noch herrscht Schonfrist im Gegensatz zu Hamburg, wo bereits ältere Diesel aus Teilen der Stadt verbannt sind. Nun mag man trefflich über den Sinn und Unsinn von Fahrverboten streiten. Eines hat es für sich: Städte und Kommunen müssen sich bewegen, nach Alternativen suchen und sich neuen Verkehrskonzepten stellen.

Dieselfahrverbote zwingen Städte zum Umdenken (Bild: fotolia_Thomas Reimer)

Smart City: ein bisschen hier, ein bisschen da  

Dies ist auch bitter notwendig. Ein aktuelle Umfrage "Branchenbarometer" zur Smart-City-Entwicklung der Hinte Messe GmbH vom Juli 2018 offenbart die Schwächen im Umgang mit intelligenten Stadtkonzepten. Demnach verfügen 88 Prozent der befragten städtischen oder kommunalen Vertreter aktuell über keine klare Strategie oder besitzt kein Konzept zur Smart-City-Entwicklung in den eigenen Häusern. Im Gegenteil: Ein bisschen hier, ein bisschen da und dazwischen mehr Ratlosigkeit als durchdachter Plan. Dass sich solche Missstände auch auf Mobilitätskonzepte niederschlagen, steht außer Frage. Noch immer sind viele ÖPNV-Verbünde zu teuer, fehlen verzahnte Mobilitätsstrategien oder werden Fahrrad und E-Bike stiefmütterlich behandelt. Die Folge: Der Bürger fährt Auto, denn Anreize zu Alternativen fehlen.

"Stehblues" könnte die Überschrift in vielen Fällen lauten. Der Grund? Leider fehlt es in diesem Kontext oft am ehrlichen Willen zur Bürgerbeteiligung, denn die Ziele von Bürgern stehen nicht immer im Einklang mit denen von digitalen Konzernen, die erfahrungsgemäß "smarte" Lösungen als Heilsbringer für Städte und deren Menschen sehen. Das pan-europäische Mediennetzwerk Euractiv schreibt in einem Beitrag zu "Die Städte der Zukunft - Deutschland tut sich schwer", dass die Hürden für Städte hoch seien "und am Ende profitieren nicht immer die Bürger - sondern private Unternehmen" [3]. Der Verein Digitalcourage, der sich Datenschutz und Bürgerrechte einsetzt, formuliert es wie folgt: "Im Fokus der Smart City steht nicht der Mensch, sondern die Maschine. Der Begriff "Bürger.innenbeteiligung" ist nur ein Label, das schon jetzt, bei den Planungen, nicht in die Tat umgesetzt wird: Während beispielsweise bei den EU-Beratungen über Smart Cities zahlreiche wirtschaftliche Konzerne in den Gremien vertreten sind, haben zivilgesellschaftliche Initiativen fast keinen Platz." Und weiter heißt es: "Der Begriff "Smart City" verkommt zum Marketing-Instrument. Unternehmen machen die Smart City zu einem Markt, auf dem sie ihre eigenen Produkte gezielt platzieren können - sie schaffen selbst die Nachfrage (...)" [4].

Im Grunde setzt ein Veränderungsprozess den Mut zur wirklichen Veränderung voraus. Sonst bleibt das Glas mindestens halb leer.

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Quellen:

[1] https://www.wien.gv.at/stadtentwicklung/projekte/zielgebiete/westguertel/geschichte.html

[2] https://www.wien.gv.at/stadtentwicklung/strategien/step/step2025/fachkonzepte/mobilitaet/ueberblick.html 

 [3] https://www.euractiv.de/section/europakompakt/news/die-staedte-der-zukunft-deutschland-tut-sich-schwer/

[4] https://digitalcourage.de/blog/2016/smart-city-marketingparadies-mit-totalueberwachung