Wissenschaft & Forschung

Hausgemachte Energiekrise

Wer nach dem Begriff „hausgemacht“ sucht, wird unter anderem auf den Internetseiten des Dudens* fündig. Dort ist dem Adjektiv neben der Bedeutung des „selbst gemachten“ auch eine übertragene Bedeutung zugeschrieben. Und die bezieht sich auf „eine hausgemachte (selbst verschuldete, nicht von außen hereingetragene) Inflation“.

Die Energiekrise hat viele Facetten und ist doch größtenteils hausgemacht.

Von einer solchen Inflation können wir mit Blick auf die aktuelle Diskussion um den weiteren und vor allem bezahlbaren Weg unserer Energieversorgung hierzulande sprechen. Eine Inflation – hausgemacht. Denn trotz der gebetsmühlenartigen Verlautbarungen der Politik, wonach der aktuelle Ukraine-Krieg und die Abhängigkeiten von russischen Öl- und Gaslieferungen die Misere sind, liegt die Ursache woanders. Ein Thema, das viele politisch Verantwortlichen und die Wirtschaft nicht hören wollen – gerade inmitten einer Krise.

Verschlafene Energiewende, zu wenig Investitionen

Es ist eine verschlafene Energiewende, die über Jahrzehnte zu halbherzig von der Politik und Wirtschaft vorangetrieben wurde. Neben dem Zick-Zack-Kurs bei der Solarenergie und -förderung sehen wir seit Jahren einen Dauerstreit um die Windkraft. Ganz zu schweigen von 2,4 Milliarden Euro an Entschädigungen für die Energieversorger im Zuge des beschlossenen Atomausstiegs. Hinzu kommen bis zu 40 Milliarden Euro für den Kohleausstieg. Doch mittlerweile wird im Zuge der Energiekrise über längere Laufzeiten für Atomkraftwerke und die weitere Kohleverstromung nachgedacht. Kein Wunder, dass der vermehrte Einsatz fossiler Energieträger von politisch Verantwortlichen verstärkt ins Spiel gebracht werden. Laut dem
Portal „Strom-Report“ lag der Anteil erneuerbarer Energien an der Stromversorgung in Deutschland im Jahr 2021 bei 46 Prozent [netto]. „Damit waren Sonne, Wind & Co. wichtigste Quelle im deutschen Strommix 2021.“ Gleichzeitig sank deren Anteil laut Strom-Report „um 4,6 Prozentpunkte im Vergleich zum Vorjahr“. Zu wenig, auch auf internationaler Ebene, wie beispielsweise Greenpeace unterstreicht. So schreibt das Handelsblatt: „Die G7-Staaten investieren einer Studie zufolge im Durchschnitt fast genauso viel Geld in die klimaschädlichen Brennstoffe Kohle, Öl und Gas wie in den Ausbau der erneuerbaren Energien. Unter Berufung auf eine Analyse der New Economics Foundation (NEF) kommt die Umweltorganisation
Greenpeace zu dem Schluss, „dass die sieben großen teilnehmenden Industriestaaten nicht einmal zehn Prozent der Summe investieren, die nötig wäre, um den klimafreundlichen Umbau der Wirtschaft entscheidend voranzubringen (…)“.

Von Politik-Mühlen und Lobbyisten

Zurück nach Deutschland. Focus Online schrieb bereits im Mai 2022: „Die Zeit drängt. Doch die Berliner Politik-Mühlen mahlen langsam. Denn an dem Projekt Energiewende sind mehrere Häuser beteiligt: neben dem Habeck-Ministerium auch die Ressorts Umwelt (Steffi Lemke, Grüne), Verkehr (Volker Wissing, FDP), Landwirtschaft (Cem Özdemir, Grüne) und Bau (Klara Geywitz, SPD).“ Und weiter heißt es: „Die Abstimmung zwischen den Ministerien dauert Wochen, dazu gibt es öffentliche Anhörungen von Experten und Verbänden, denen der Referenten-Entwurf des Sofort-Programms schon seit Wochen vorliegt.“ Das ist richtig und zugleich kein neues Phänomen. Zu den sogenannten Experten gehören nicht wenige Lobbyvertreter, die seit Jahrzehnten in den politischen Hinterzimmern an Strategien, Empfehlungen und Gesetzesvorbereitungen mitwirken. Ein Beispiel: Im Zuge des Klimaschutzplans hat das Bundesumweltministerium laut des Unternehmens Ørsted im Jahr 2016 300 Verbände zu einer Anhörung eingeladen. Dass die Politik auf externes Fachwissen angewiesen ist, steht außer Frage. Aber eine Anhörung in dieser Dimension ist nach außen schwer vermittelbar. Und doch sind es die pausenlosen Einflussnahmen vonseiten der fossilen Energiebefürworter und der Umweltgruppen, die auf die Politik einzuwirken versuchen. In diesem Kontext schrieb beispielsweise der Sender NTV 2019: „Auf den Klimagipfeln
der Vereinten Nationen wird seit Jahrzehnten um die Rettung des Planeten gerungen. Eine Studie zeigt auf, dass hier nicht nur Staatenvertreter mitmischen. Lobbyvertreter großer Energiekonzerne tummeln sich in Mannschaftsstärke auf den Treffen.“ Und der Beitrag folgert: „Kritiker warnen aber davor, dass eine massive Präsenz von Lobbyisten die Ergebnisse der Beratungen verwässern könnte.“

Der Verein Lobby Control titelte letzten Herbst: „Lobbyismus bremst Klimaschutz: problematische Nähe zwischen fossiler Industrie und Politik.“ Der Beitrag wird deutlich: „Die Klimakrise ist eines der wichtigsten Themen dieser Zeit – davon sind auch die deutschen Wählerinnen und Wähler überwiegend überzeugt. Trotzdem reagiert die Politik nicht angemessen auf diese Bedrohung. Ein Grund dafür sind allzu enge Verbindungen zwischen fossiler Wirtschaft und Politik (…)“. In dieser Konstellation aus Abhängigkeiten von Fachseite, der Industrie, Lobbygruppen, aber auch den Umweltverbänden, sind neue Gesetzesvorhaben im Sinne einer zielführenden und vor allem nachhaltigen Energie- und Klimapolitik nur mit vielen Hürden und einem enormen Zeitaufwand umsetzbar. Und damit ist die Energiekrise größtenteils hausgemacht.


Energetische Optimierung von Industriestandorten

Dass die Energiewende kein Selbstläufer ist, Planung und den unbedingten Willen aller Beteiligten braucht, das zeigt sich beispielsweise in einem Projekt zur energetischen Optimierung eines Industriestandorts. Konkret haben Forscher der Hochschule für Technik Stuttgart (HFT Stuttgart) in einem Reallabor zum Industriestandort Bosch in Schwieberdingen neue Strategien zur intelligenten und vorhersagbaren Regelung des Energieversorgungssystems entwickelt. Dabei geht es um die Energieverteilung in der Industrieliegenschaft über die thermischen Netze (Fernwärme-, Nahwärme- oder Fernkältenetze). Um eine bessere Energieeffizienz in der Liegenschaft Bosch in Schwieberdingen zu erzielen, kommen intelligente Datenmanagementlösungen zum Einsatz. Wichtig in diesem Zusammenhang: Neben Datenanalysen geht es vor allem um Methoden zur Fehlererkennung und der Überprüfung von Messdaten.

Einen weiterführenden Beitrag zur energetischen Sanierung von Industriegebäuden finden Interessenten im „Energiespecial“ der kommenden Ausgabe der gis.Business 4/2022.


Update: Koalition einigt sich auf den Ausbau erneuerbarer Energien

Die Koalitionsparteien haben sich auf den verstärkten Ausbau der erneuerbaren Energien geeinigt. Laut dem Tagesspiegel soll mit verschiedenen Gesetzen „die Grundlage für eine langfristig klimaneutrale Stromversorgung geschaffen werden“.

 

*Quelle: https://www.duden.de/rechtschreibung/hausgemacht

 

Keywords: Geo-IT, Geodäsie, Geoinformation, Geo, Geoinformatik, GI, Erneuerbare Energien,