Wissenschaft & Forschung

Gletscher schmelzen schneller und folgenreicher als erwartet

Tandem-X-Satellitendaten geben neue Perspektiven zur Entwicklung der Antarktis. Verschiedene Gletscher schmelzen schneller als erwartet.

Foto des Pope-Gletschers aufgenommen während der Ice Bridge Mission der Nasa. Im Hintergrund erkennt man den Mount Murphy. Bild: Nasa Operation Ice Bridge 2016

Der Südpol hat neue Sorgenkinder - eine Gruppe von kleineren Gletschern schmilzt schneller als erwartet: Pope, Smith und Kohler. Bisher standen die benachbarten Eisgiganten Thwaites und Pine Island im Fokus der Forschung, da sie sehr fragil sind und den globalen Meeresspiegel um bis zu 1,2 Meter ansteigen lassen könnten. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) hat die Veränderungen in der Westantarktis gemeinsam mit internationalen Forschungspartnern aufgedeckt und analysiert. Den Ursachen für die rapiden Abschmelzungen der kleineren Gletscher kamen sie mithilfe spezieller Radardaten der Satellitenmissionen Tandem-X und Cosmo-Skymed auf die Spur.

Die gewonnenen Erkenntnisse sind wichtig, um Gletscherprozesse besser zu verstehen und so die Entwicklung der gesamten Antarktis vorherzusagen. Klimaforscher können dann künftig noch genauer berechnen, wie stark der Meeresspiegel ansteigen wird und welche Schutzmaßnahmen am wirkungsvollsten sind. Die neue Studie ist aktuell im Fachjournal „Nature Geoscience“ veröffentlicht. Sie ist das Ergebnis einer Zusammenarbeit von der University of Houston, dem DLR-Institut für Hochfrequenztechnik und Radarsysteme, der University of California, der Université Grenoble Alpes sowie der italienischen Raumfahrtagentur ASI.

Komplexe Schmelzprozesse der Gletscher

Die Gletscher Pope, Smith und Kohler sind in den letzten 30 Jahren deutlich geschrumpft: Sie sind dünner geworden, haben Schelfeis an den Ozean verloren und sich weiter ins Land zurückgezogen. Auffällig war hier der Rückgang der Aufsetzlinie, also die Grenze, an der das Eis den Kontakt zum Festland verliert und beginnt, auf dem Meer zu schwimmen. Daher richteten die Radar-Experten ein Augenmerk auf diesen Übergangsbereich. So konnten sie auch erstmals drastische Veränderungen des Pope-Gletschers nachweisen, der sich 2017 innerhalb von nur drei Monaten mit einer Geschwindigkeit von 11,7 Kilometer pro Jahr zurückzog.

Erdbeobachtungssatelliten sind für die Gletscher- und Klimaforschung unverzichtbar geworden. Früher habe man jahrelang warten müssen, bis man endlich verwertbare Daten zu den Polregionen hatte, erzählt DLR-Gastwissenschaftler Prof. Pietro Milillo von der University of Houston, Texas. Dank der hochleistungsfähigen Satellitenmissionen Tandem-X und Cosmo-Skymed könne man die Polregionen heute im Monatsrhythmus analysieren. Aus den Aufnahmen und mit neuen Methoden zur Datenauswertung gewönne man zudem eine völlig neue Ebene an Details, um Gletscher- und Klimamodelle weiter zu verbessern. Durch die gezielte Analyse von Tandem-X-Zeitreihen konnten sie die Veränderungen sogar im Zwei-Wochen-Takt statt alle vier Wochen nachvollziehen.

Die neue Studie liefert damit ein weiteres wichtiges Puzzleteil für die Gletscher- und Klimaforschung. Die physikalischen Schmelzprozesse von Pope, Smith und Kohler laufen ja bei den anderen Gletschern rund um die Amundsen-See identisch ab. Die Riesen Thwaites und Pine Island könnten mit ihren hohen Masseverlusten die restliche Westantarktis destabilisieren, mit verheerenden Folgen für das Leben auf der Erde. Wenn Klimamodelle künftig berücksichtigen, wie stark eine schwimmende Eisplatte von unten schmilzt, könnten sie auch den Rückgang von Gletschern noch genauer bestimmen.

Schlüsselprozess: Abschmelzen der freischwimmenden Gletscherunterseite

Die Unterseite eines Gletschers entzieht sich unseren Blicken, sodass der Eisverlust nicht direkt messbar ist. Mithilfe von digitalen Tandem-X-Höhenmodellen konnten die Wissenschaftler diese verborgene Schmelzrate nun genau bestimmen. Während zum Beispiel der Smith-Gletscher über Land im Zeitraum von 2011 bis 2019 etwa fünf Meter pro Jahr abschmolz, betrug die Schmelzrate an der frei schwimmenden Gletscherunterseite ungefähr 22 Meter pro Jahr. An bestimmten Stellen wies Smith sogar Schmelzraten von mehr als 100 Meter pro Jahr auf, mit einem Spitzenwert von 140 Meter pro Jahr in 2016.

Einige Untersuchungen mit Klimamodellen bestätigten, dass die Computerberechnungen der Aufsetzlinie nur dann mit den tatsächlichen Messungen übereinstimmen, wenn sie die neuen Werte der Schmelzrate miteinkalkulieren. Darüber hinaus haben die neuen Radardaten und Erkenntnisse den Forschungsverbund International Thwaites Glacier Collaboration maßgeblich dabei unterstützt, Messkampagnen vorzubereiten und geeignete Stellen für Testbohrungen auszuwählen.

Weitere Informationen unter www.dlr.de

Keywords: Geodäsie, Geoinformation, Geo, Geoinformatik, GI, DLR, Gletscher, Tandem-X-Satellitendaten