Autor: Dan Vogen
Vor knapp einem Jahr las ich in einem Magazin und sah ein Bild von einer Brückeninspektion. Es war unscharf, schwarz-weiß und zeigte mehrere Männer an Seilen hängend an der Seite des Bauwerks, weit oben über dem Flussbett. Zuerst dachte ich, es sei aus den 1960er-Jahren. Und weiterhin dachte ich, dass früher Inspektionen wohl so durchgeführt wurden. Aber dann bemerkte ich das Datum. Es wurde 2013 aufgenommen – vor nur acht Jahren! Und im Artikel hieß es, dass sie seither alle zwei Jahre den exakt gleichen Prozess wiederholt hätten.
Herausforderung Brückeninspektionen
Eine der größten Herausforderungen für unsere Verkehrsbehörden ist die Durchführung genauer, rechtzeitiger und sicherer Brückeninspektionen. Brücken haben eine lange Lebensdauer – von bis zu 75 oder 100 Jahren. Es ist wichtig, strukturelle Veränderungen im Laufe der Zeit zu verfolgen. Die Wartung von Brücken ist entscheidend, um die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten, und Brückenbetreiber und Ingenieure müssen Inspektionen durchführen, um die strukturelle Integrität zu bestimmen, was für die Planung von Wartung, Sanierung und Austausch dieser Brücken erforderlich ist.
Jedoch sind traditionelle Sichtprüfungen vor Ort arbeitsintensiv, erfordern teures Gerät und häufig die Sperrung von Fahrbahnen, was zu Unannehmlichkeiten für die Verkehrsteilnehmer führt. Zudem gibt es Sicherheitsrisiken und die Prüfungen sind ungenau und fehleranfällig.
Nationale Standards für Brückeninspektionen in den USA erfordern zusätzliche Dateneingaben und Komplexitätsebenen. Mit der heutigen Pandemie-Situation können die Wahrung von Social Distancing und die Gewährleistung der Sicherheit für Mitarbeiter und Öffentlichkeit zusätzliche Herausforderungen darstellen. In jüngster Zeit nutzen die Straßenbauämter jedoch Technologien, um Brückeninspektionen aus der Ferne durchzuführen und gleichzeitig die Sicherheit ihrer Mitarbeiter zu gewährleisten. Eine dieser Technologien sind digitale Zwillinge, d. h. die digitale Darstellung einer Brücke sowie die technischen Informationen, die es den Teams ermöglichen, ihre Leistung zu verstehen und zu modellieren.
Einsatz digitaler Zwillinge
Bentley engagiert sich dafür, den Anwendern bei der Implementierung digitaler Zwillinge zu helfen und sie dabei zu unterstützen, Computermodelle zu erstellen, die replizieren, was sich physisch draußen im Feld befindet.
Digitale Zwillinge ermöglichen es Inspektoren, in das Modell einer Brückenkonstruktion einzutauchen, ohne physisch vor Ort zu sein. Inspektoren führen Inspektionen mithilfe eines digitalen Zwillings der Anlage durch, zusammen mit immersiven Inspektionsfunktionen in Microsoft HoloLens 2, die dem Benutzer helfen, ein Verständnis dafür zu bekommen, was tatsächlich vor Ort passiert, ohne dabei sein zu müssen. Diese Fähigkeit reduziert nicht nur den Zeitaufwand im Feld, sondern macht die Inspektionen auch effizienter, sicherer und kostengünstiger. Einige Ingenieure, mit denen Bentley zusammenarbeitet, denken, dass sie 90 % dessen, was traditionell vor Ort erledigt werden musste, im Büro erledigen können.
Die Infrastruktur von Bentley basiert auf der Azure-Plattform von Microsoft. Diese digitale Zwillingstechnologie kombiniert technische Daten, Realitätsmodelle und Eingaben von Geräten, die mit dem Internet der Dinge (IoT) verbunden sind, wie Drohnen oder Sensoren. All diese Komponenten verbinden physische Objekte in der realen Welt mit ihren digitalen Gegenstücken und bieten so eine ganzheitliche Sicht auf Objekte über und unter der Erde.
Anstatt also zu versuchen, Risse oder Korrosion anhand von Fotos zu finden und zu bestimmen, ermöglichen es digitale Zwillinge den Betreibern, diese Arten von im Laufe der Zeit auftretenden Veränderungen mit exakten Messungen nachzuvollziehen.
Durch den Einsatz von Drohnen zur Unterstützung bei Inspektionen haben einige US-Behörden, mit denen Bentley zusammenarbeitet, bis zu 40 % ihrer Kosten eingespart. Mit einem digitalen Zwilling können sie die Veränderungen im Laufe der Zeit sehen und haben einen umfassenden Überblick über die Brücke, einschließlich vergangener Inspektionen zusätzlich zu den aktuellen Daten, was die Effizienz verbessert und helfen kann, die Zukunft vorherzusagen.
Beispiel Minnesota Department of Transportation
Ein Beispiel ist das Minnesota Department of Transportation (DOT). Der Bundesstaat verfügt derzeit über 20.000 Brücken, die regelmäßig überprüft werden müssen, damit der Staat sie über ihre Lebensdauer hinweg ordnungsgemäß warten kann und herausfinden kann, was zu tun ist, um sie zu ersetzen. Jennifer Wells, Ingenieurin für Brückeninspektionen beim Minnesota DOT, erklärt: „Die meisten dieser Ingenieure sind nicht oft vor Ort, sodass es schwierig ist, durch Nahaufnahmen zu vermitteln und zu versuchen, ihnen zu erklären, was ich sehe.“ Für das Minnesota DOT bot sich eine große Chance, Drohnen und Bentley-Software zur Ergänzung und Erweiterung von Standard- und Vor-Ort-Inspektionen einzusetzen. Sie konnten die Daten dieser Inspektionen schnell und einfach von überall aus überprüfen. Wenn Ingenieure Zeitraffer-Vergleiche von detaillierten Veränderungen betrachten, können sie bestimmte Bereiche, die Anlass zur Sorge geben, mit Anmerkungen versehen und alles kennzeichnen, was speziell vor Ort überprüft werden muss. Die Außendienstmitarbeiter können alle Inspektionsnotizen direkt am Bauwerk sehen, was sichtbarer, genauer und effizienter ist. All diese Möglichkeiten sind darauf ausgerichtet, Kosten zu sparen, Risiken zu vermeiden und den Zeitaufwand für Inspektionen zu reduzieren.
Verwendung von Realitätsrastern
Einer der größten Fortschritte ist das Realitätsraster, die Visualisierung eines digitalen Zwillings, der unserem Verständnis der Infrastruktur und der umgebenden Topographie eine weitere Dimension verleiht. Die von Drohnen erfassten Fotos, Videos und Daten können zur Erstellung eines hochauflösenden Realitätsrasters einer Brücke verwendet werden. „Diese Bilder können bis zu den Rissen selbst vordringen, wir können die Breite der Risse messen, nicht nur die Länge“, so J. Wells. „Sie sind sehr detailliert.“ Die Verwendung von Realitätsrastern bei Inspektionen kann die benötigte Zeit der Prüfer vor Ort an den Bauwerken erheblich reduzieren.
Ein digitaler Zwilling bietet Flexibilität. Die Verkehrsbehörden können gründlichere Inspektionen durchführen, ohne teure Ausrüstung und Arbeitskräfte einplanen zu müssen. Sie können digitale Zwillinge bei vielen großen, komplexen oder charakteristischen Brücken anwenden, was zu erheblichen Einsparungen führen kann, während die Sicherheit erhöht und eine umfassendere Visualisierung geboten wird.
Kosteneinsparung und Sicherheit
Der Einsatz digitaler Zwillinge zum Erfassen, Verarbeiten, Speichern und Analysieren großer Datenmengen kann Zeit und Kosten reduzieren und gleichzeitig die Qualität der Inspektionen erhöhen. Wenn die Gesamtkosten für die Inspektion um 10 % gesenkt werden könnten, wäre das ein enormer Gewinn – und wir sprechen hier über potenzielle Gesamteinsparungen in Höhe eines Mehrfachen dieses Betrags. Mit der Microsoft HoloLens 2 und den Azure-Remote-Rendering-Funktionen ist es möglich, die Auswirkungen von Veränderungen im Laufe der Zeit präzise und geometrisch genau zu sehen. Die Technologie kann die Sicherheit der Inspektoren und der Allgemeinheit verbessern und dazu beitragen, die Brückeninfrastruktur auch in Zukunft zu erhalten. Je mehr wir damit arbeiten, desto mehr Potenzial erkennen wir. Diese Technologie kann die Rolle der Brückeninspektion wesentlich zugänglicher gestalten, was Vielfalt bei der Ausführung ermöglicht und gleichzeitig der Öffentlichkeit mehr Gewissheit gibt, dass jedes Bauwerk in seiner Gesamtheit überprüft wird.
Das ist keine Science-Fiction mehr. Es ist real, es ist hier und es wirkt sich umgehend auf unsere Brücken aus. Legen wir die Seile für immer beiseite.
Möchten Sie diese neue Technologie in Aktion erleben? Sehen Sie sich dieses Video an.
Dan Vogen, Vice President, Road & Rail Asset Management, Bentley Systems
Bild: Bentley Systems