Vom Bausektor und den Luftnummern

Andreas Eicher

Die Freie und Hansestadt Hamburg soll ein neues Wahrzeichen erhalten. Ein Prestigeprojekt, über das die Verantwortlichen schreiben: „Mitten in Hamburg, direkt an der Elbe, entsteht das höchste Gebäude des Nordens. 64 Stockwerke, 245 Meter über dem Meer. Ein neuer Blick auf die Stadt für die Hamburger:Innen, Besucher:Innen und Unternehmen. Mit Weitsicht geplant: der Elbtower.“ Nicht ganz, denn das Megaprojekt ruht, die Kräne stehen still und gebaut wird auf absehbare Zeit nicht.

Der Bausektor: Wo die Träume in den Himmel wachsen. Bild: Andreas Eicher

Nun ist der Baustopp am Elbtower sicher kein Einzelfall hierzulande und auch die aktuell geschätzten Baukosten von rund 950 Millionen Euro werden sicher nach der Wiederaufnahme der Bautätigkeiten weiter steigen. Ende November 2023 sprach „Die Zeit" von der Luftnummer mit Blick auf das Bauprojekt Elbtower, der Hamburgs „neues Wahrzeichen“ werden soll. Business as usual könnte man meinen, sind doch Komplikationen am Bau und ausufernde Kosten Teil des Geschäfts. Die Erinnerungen an ein weiteres Bauprojekt in Hamburg, der Elbphilharmonie, sind noch frisch mit einer jahrelangen Bauverzögerung und Kosten, die sich am Ende auf 866 Millionen Euro summierten. Das Handelsblatt schrieb 2016: „866 Millionen Euro, Platz zwölf im Ranking der teuersten Gebäude der Welt (…)“. Die Frage, die sich beim Elbtower und der Elbphilharmonie nicht wenige stellen dürften, ist: Muss das Ganze in dieser Dimension sein? Hier gehen die Meinungen sicher auseinander. Denn was für die einen zu viel Glitzer, Glamour und Bling-Bling ist, bedeutet für andere noch nicht luxuriös und hoch genug.

Eindeutig ist jedoch die Tatsache, dass in unseren Städten teils akuter Wohnungsmangel herrscht – auch in Hamburg. In diesem Kontext schlussfolgerte das Hamburger Abendblatt (Mai 2023) zur allgemeinen Wohnungsnot: „Der Wohnungsmangel, der gerade den Großstädten seit einem Jahrzehnt zunehmend zu schaffen macht, spitzt sich zu. Auf der einen Seite steigt die Nachfrage, auf der anderen wächst das Angebot viel zu langsam.“ Und zur Wohnungsknappheit in Hamburg im Speziellen: „In Hamburg wurden im ersten Quartal gerade noch 1.321 Wohnungen genehmigt, der niedrigste Wert seit Jahren und weit entfernt von der Zielzahl des Senats, die bei 10.000 im Jahr liegt.“

Vom Maßnahmenpaket und der kritischen Betrachtung

Nun wurde von der Bundesregierung Ende September 2023 ein „Maßnahmenpaket für die Bau- und Immobilienbranche“ vorgelegt. In einer entsprechenden Pressemitteilung heißt hierzu: „Auf Basis der bisherigen Diskussionen des Bündnisses hat die Bundesregierung (…) ein Maßnahmenpaket für zusätzliche Investitionen in den Wohnungsbau sowie zur wirtschaftlichen Stabilisierung der Bau- und Immobilienbranche beschlossen.“ Und was sagt Bundesbauministerin Klara Geywitz zu dem Maßnahmenpaket? „Mit dem heute vorgestellten Maßnahmenpaket wird es uns gelingen, mehr Investitionen in den Wohnungsbau zu erreichen und damit die Bau- und Immobilienbranche zu stabilisieren und zu stärken. Wir werden die Rahmenbedingungen verbessern, um mehr bezahlbaren, klimaneutralen und barrierearmen Wohnraum zur Verfügung zu stellen“. Wie das genau gelingen soll, bei geschätzten 900.000 bis zu einer Million fehlender Wohnungen bis in Jahr 2025, das bleibt das Geheimnis der Bundesregierung und speziell des BMWSB. Die nackten Zahlen lesen sich nach Informationen des Statistischen Bundesamts (Destatis) so: „Im August 2023 wurde in Deutschland der Bau von 19.300 Wohnungen genehmigt. Das waren 31,6 Prozent oder 8.900 Baugenehmigungen weniger als im August 2022. Von Januar bis August 2023 sank die Zahl der Baugenehmigungen für Wohnungen gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 28,3 Prozent. Dies entspricht einem Rückgang um 69.100 Wohnungen auf 175.500 Wohnungen“.

Hoffnung auf Besserung gibt es indes nicht. Städte und Kommunen alleine werden die Herkulesaufgabe auch aufgrund klammer Kassen nicht alleine stemmen können. Der private Wohnungsbau hält sich durch die aktuelle Teuerung merklich bei neuen Bauprojekten zurück oder stellt geplante Vorhaben ein. Zudem wird zu oft am Bedarf vorbei geplant und gebaut. Was das heißt? Eine Antwort gibt Prof. Dr. Hannes Taubenböck, Abteilungsleiter am Deutschen Fernerkundungsdatenzentrum (DFD) des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt e. V. (DLR) und Inhaber des Lehrstuhls für Globale Urbanisierung und Fernerkundung an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. „55 Prozent aller Wohngebäude sind hierzulande Einfamilienhäuser. Weitere 17 Prozent entfallen auf Zweifamilienhäuser. Aus der Perspektive Wohnungsknappheit, aber auch aus der ökologischen Perspektive hinsichtlich flächensparender, nachhaltiger Bauweise muss man dies kritisch betrachten“, so Prof. Dr. H. Taubenböck.

Die Daseinsvorsorge und das digitale Bauen

Die Herausforderungen im Bausektor müsste die Branche aufrütteln. Sie müsste nach Veränderung schreien, bleibt größtenteils aber stumm oder folgt dem Bauen, um Gewinne zu machen. Ein Umstand, der privaten Bauträgern und Immobilienkonzernen in diesem Spiel der freien Marktkräfte leider zugestanden werden muss. Aber der städtische Wohnungsbau muss von Immobilien- und Wohnspekulationen befreit bleiben – als Teil der Daseinsvorsorge. Nicht umsonst titelte die Schader-Stiftung bereits 2002: „Die Versorgung mit Wohnraum als Aufgabe der Daseinsvorsorge.“

Der Online-Beitrag zählt die negativen Auswirkungen einer zunehmenden Kommerzialisierung des Wohnungsmarkts auf, mit einer zunehmenden „Liberalisierung in der Wohnungswirtschaft“, dem „Wegfall von Belegungsbindungen“ sowie der wachsenden „Dominanz gewinnorientierter Wohnungsunternehmen“. Folgerichtig stellt der Beitrag die Frage: „Wie ist die Versorgung jener Bevölkerungsgruppen zu gewährleisten, die sich am Markt nicht aus eigener Kraft mit angemessenem Wohnraum versorgen können?“

Diese Misere am Wohnungsmarkt passt nicht so recht zu den Marketingversprechungen vieler Unternehmen. Alles auf digital heißt die Losung vieler Digitalkonzerne und auch von Beratungsunternehmen. Eine der Letzteren gibt hinsichtlich der „Digitalisierung der Wohnungswirtschaft“ die Empfehlung ab, „sich in jedem Fall weiter und vielleicht noch etwas intensiver mit der Digitalisierung zu befassen und auch mal einen kleinen Blick über den Tellerrand hinauszuwagen“. Dass sich das über den Tellerrand schauen mittels digitaler Einfälle auf eine reine Gewinnmaximierung einiger weniger Konzerne im Bau- und Immobiliensektor beschränken dürfte, ist lange klar. Nun bemüht sich die Branche nach außen um einen Schulterschluss. So wird Dr. Josef Kauer, Präsident der BIM-(Building-Information-Modeling-)Tage Deutschland im Rahmen einer Pressemitteilung zur Intergeo 2023 wie folgt zitiert: „Unser diesjähriges Motto ‚Let’s build together‘ betont die Tatsache, dass wir die akuten Herausforderungen auch in der traditionell und hyperheterogen aufgestellten deutschen Bauwirtschaft nur gemeinsam lösen können.“ Und der Präsident der BIM-Tage folgert: „Die Kooperation mit der Intergeo ergänzt BIM um die wichtige Dimension Geoinformation. Damit integrieren wir endlich die Geodäsie als wichtigen Ausgangspunkt der Wertschöpfungskette Digitales Bauen – insbesondere beim Thema nachhaltiges Bauen im Bestand (…).“ Überhaupt standen im Rahmen der diesjährigen Intergeo neben dem Thema BIM weitere Werkzeuge und Methoden für das Bauumfeld im Mittelpunkt der dreitägigen Messe und Konferenz in Berlin. Hierzu zählt unter anderem der Einsatz digitaler Zwillinge und künstlicher Intelligenz (KI). Lösungen, die beim Bauen der Zukunft wichtige Dienste leisten können. Nicht umsonst sei laut Intergeo-Macher der Werkzeugkasten der Branche gut gefüllt. Ob und inwieweit diese Werkzeuge beispielsweise Städte und Kommunen beim nachhaltigen Bauen unterstützen und die vielfach gehegten Smart-City-Träume verwirklichen helfen, das bleibt abzuwarten. Auf alle Fälle besteht die Gefahr, dass auf diese Weise nur weitere Luftnummern entstehen – der geplante Elbtower sollte den Verantwortlichen Warnung genug sein.