Andreas Eicher

Vom bösen und guten Technologieeinsatz

Mitte Juni wurde es Gewissheit. Wikileaks-Gründer Julian Assange wird nach einem jahrelangen Tauziehen an die USA ausgeliefert. Damit bewahrheitet sich Ex-Präsident Barack Obamas Spruch in seiner negativsten Deutungsmöglichkeit: „Yes we can.“ Dass die USA es können, das zeigt die Causa J. Assange nur zu deutlich. Denn der lange Arm der US-Administration packt vermeintliche Geheimnisverräter überall auf der Welt – auch nach Jahren. Besonders leicht fällt das in traditionell „befreundeten“ Ländern, wie es die „special relationship“ mit Großbritannien zeigt.

Die Macher von Enthüllungsplattformen und Aufklärer leben gefährlich – nicht nur in autokratischen Staaten. Bild: stock.adobe.com (images and videos)

Die Macher von Enthüllungsplattformen und Aufklärer leben gefährlich – nicht nur in autokratischen Staaten. Bild: stock.adobe.com (images and videos)

J. Assange war seit drei Jahren im Londoner Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh inhaftiert. Also einem Gefängnis, in dem Terroristen und radikale Islamisten einsitzen und mit J. Assange eben auch ein investigativer Journalist. Das alleine ist schon ein Skandal. Nun führt ihn sein Weg wohl ohne Umwege in die USA und dort erneut in Haft. Und das nach Expertenschätzungen für lange Zeit. Zu lange für ein Leben, denn J. Assange drohen über 170 Jahre Gefängnis.

Was der Fall einerseits zeigt: Vom Urteil gegen J. Assange geht ein klares Signal an all diejenigen aus, die staatliche Machenschaften, Lügen und Kriegsverbrechen aufzudecken versuchen. Amnesty International titelt in Zusammenhang mit Nato- und US-Einsätzen: „Keine Aufklärung von Kriegsverbrechen“ und zitiert Richard Bennett, Direktor für die Region Asien-Pazifik von Amnesty International: „In keinem der von uns untersuchten Fälle mit insgesamt über 140 zivilen Toten wurde auch nur ein Strafverfahren eingeleitet“. Und weiter heißt es: „Selbst offensichtliche Hinweise auf Kriegsverbrechen wurden offenbar total ignoriert und die Täter nicht zur Rechenschaft gezogen.“

Von der Aushöhlung der Pressefreiheit, auch in westlichen Staaten

Andererseits unterstreicht der Fall J. Assange, dass die Pressefreiheit nicht nur in China, der Türkei oder Russland ausgehöhlt wird, sondern auch in „demokratischen Staaten“. Laut Reporter ohne Grenzen verschlechterte sich beispielsweise die Lage in Deutschland um drei Plätze gegenüber 2021 (Rang 16 von 180). Für diese Entwicklung gibt es nach Aussagen der Deutschen Sektion von Reporters sans frontières drei Gründe: „eine Gesetzgebung, die Journalistinnen und Journalisten sowie ihre Quellen gefährdet, abnehmende Medienvielfalt sowie allen voran Gewalt bei Demonstrationen“. Und weiter heißt es: „Auf der Ebene der Gesetzgebung kritisierte RSF den mangelnden Schutz von Journalistinnen und Journalisten sowie ihrer Quellen bei der Cybersicherheitsstrategie der Bundesregierung, da diese eine Ausweitung der Befugnisse für Sicherheitsbehörden vorsieht, ebenso wie die Reform des BND-Gesetzes und den sogenannten Staatstrojaner. 2021 wurde zudem bekannt, dass Deutschland die Spyware Pegasus nutzt.“

Pegasus: Spionagesoftware weckt(e) großes Interesse

Apropos Pegasus. Der US-Whistleblower Edward Snowden, dessen Enthüllungen zu den Abhörmethoden des US-Geheimdienstes NSA im Jahr 2013 einen Aufschrei der Entrüstung auslöste, äußerste sich jüngst zum Einsatz von Überwachungstechnologien und -methoden gegenüber der Süddeutschen Zeitung wie folgt: „Wir dulden keinen kommerziellen Markt für Atomwaffen, wir dulden keinen kommerziellen Markt für chemische oder biologische Waffen, aber wenn es um diese digitalen boshaften Angriffsvektoren geht, unternehmen wir rein gar nichts.“ Wohl wahr. Denn außer der Flucht E. Snowdens nach Moskau und einer ersten Welle der Entrüstung ist es nunmehr merklich ruhig geworden zu den Überwachungspraktiken mancher Regierungen und ihrer Helfer. Bestes Beispiel ist Pegasus. Das geflügelte Pferd der griechischen Mythologie steht als Sinnbild der Dichtkunst. Nun bemächtigt sich seit Jahren eine Spionagesoftware des israelischen Technologieunternehmens NSO Group eben dieses Namens „Pegasus“. Also einer „Schadsoftware“, so „Netzpolitik.org“ mit der Menschen auf der ganzen Welt überwacht wurden und werden.




Einen ausführlichen Beitrag zum Thema „Misstraue der Idylle“ finden Interessenten in der gis.Business 3/2022

 

Ein ziemlich perfider Versuch, die Kunst mit einer Spähsoftware namentlich auf eine Stufe zu stellen. Es mag zwar ein Plan und eine gewisse technische Fingerfertigkeit dahinter stecken, Menschen zu belauschen und auf Schritt und Tritt zu überwachen. Aber hinterlistige Spionage und Überwachung hat rein gar nichts mit schönen Künsten zu tun. Ganz im Gegenteil: Der Einsatz solcher Technologiewaffen läuft dem Freigeist künstlerischen Denkens völlig konträr. Der Norddeutsche Rundfunk (NDR) nennt es folgerichtig: „Pegasus ist der Tod einer lebendigen Zivilgesellschaft.“ Und weiter heißt es: „Bekämpft mit einer lautlosen, unsichtbaren Waffe, wie Pegasus eine ist.“ In der Riege der Staaten, die Pegasus einsetzen oder in der Vergangenheit auf die Überwachungssoftware setzten, finden sich neben Aserbaidschan, Bahrain, Indien und Saudi-Arabien auch Ungarn. Also ein Mitglied der Europäischen Union (EU), sprich jener Gemeinschaft, die Menschenwürde und -rechte, Freiheit und Demokratie vertraglich verankert hat.



Pegasus als der Tod einer lebendigen Zivilgesellschaft. Bild: Andreas Eicher


Wer nun bis dato mit dem Finger auf autokratische Regierungen bei Überwachungsmethoden zeigte, muss sich mit Blick auf Pegasus eines Besseren belehren lassen. Und nicht nur in diesem Fall. Die Überwachung unserer demokratischen Hemisphäre greift immer mehr um sich. Führend im „Überwachungsranking“ ist nach Aussagen des Unternehmens Comparitsch zwar China. Demnach führen die chinesischen Metropolen Taiyuan mit 117 Kameras je 1000 Einwohner und Wuxi mit über 90 Kameras pro 1000 Einwohner das Ranking an. Aber danach folgt direkt London mit 73 Kameras pro 1000 Einwohner. Damit liegt die britische Metropole vor der chinesischen Hauptstadt Beijing, die „nur“ 55 Überwachungskameras pro 1000 Bewohner aufweisen kann.



London: Die europäische Stadt, die am stärksten überwacht wird. Bild: stock.adobe.com (Gina Sanders)

Damit steht London unangefochten an Platz eins innerhalb Europas. Im Vergleich dazu folgen Städte wie Moskau mit über 16 Kameras oder Berlin, wo über sechs Kameras pro 1000 Einwohner eingesetzt werden. Apropos Berlin: In der Bundeshauptstadt setzen die Verantwortlichen seit Jahren auf den Auf- und Ausbau der Überwachung per Kameras. Statista kommt mit Blick auf Berlin zu dem Schluss: „Im Vergleich zum Vorjahr hat die flächendeckende Überwachung allerdings deutlich zugenommen – innerhalb eines Jahres wurden in Berlin knapp 4800 zusätzliche Kameras installiert.“

Menschen entscheiden, ob eine Technologie zum Guten verwendet wird

Grundsätzlich gilt an dieser Stelle zu unterstreichen, dass Technik und digitale Lösungen (bis dato) nicht böse sind. Tim Cook, CEO bei Apple, sieht das ähnlich, wenn er sagt: „Technologie will weder Gutes noch Böses tun.“ Es sind die Menschen, die entscheiden, ob eine Technologie zum Guten verwendet wird oder dem Schlechten dienen soll – sprich Überwachung, Krieg, Terror und Ausbeutung. Sprechen wir vom positiven Einsatz moderner Analyse-, Überwachungs- und Kontrollmöglichkeiten, so sprechen wir von digitalen Hilfestellungen im Sinne der Natur, der Tiere und des Menschen. Es geht um die großen Themen unserer Zeit – von der Ernährungssicherheit einer wachsenden Weltbevölkerung über die Mobilität der Zukunft bis zur Energieversorgung und dem Klimawandel. Bei diesen großen Themen kann beispielsweise Location Intelligence einen Wertbeitrag leisten, zivil für die Menschheit. Ein Auftrag, den die Geo-IT-Welt mit ihren Ideen und Lösungen maßgeblich unterstützen kann. Und das ohne flächendeckende Überwachung oder einer postulierten staatlichen Scheinsicherheit, die nur eine fiktive Gesellschaft widerspiegelt.