Wissenschaft & Forschung

„Das soziale Miteinander und informelle Prozesse sollten das Herz einer Stadt ausmachen“

Im Interview: Frank Romeike, Risikomanagementexperte und Geschäftsführer der RiskNET GmbH, und sein Blick über den Tellerrand auf Kennzahlen, Statistiken und in eine teils technologiezentrierte Welt.

Smart-City-Projekte sollten das soziale Miteinander stärker in den Mittelpunkt stellen. Bild: Andreas Eicher

Gut, besser, am besten. Hinter dieser Formel stehen immer mehr Rankings und „Top10-Platzierungen“. Alles wird in einen Wettbewerb gepackt und nach gewissen Parametern scheinbar objektiv durchleutet und in eine Rangfolge gesetzt. Davon nicht ausgenommen sind Rankings zu den smartesten Städten – in Deutschland und international. Über den Sinn und Unsinn solcher Vergleiche lässt sich trefflich diskutieren oder zumindest ein Interview führen. Wir sprachen mit Frank Romeike, Risikomanagementexperte und Geschäftsführer der RiskNET GmbH. Sein Credo: „Zur Datenkompetenz und Interpretation von statistischen Kennzahlen gehört auch, dass man sich der Wissensdefizite bewusst ist.“ Ein Blick über den Tellerrand auf Kennzahlen, Statistiken und in eine teils technologiezentrierte Welt. 

Kennzahlen können ein wichtiges Bindeglied sein, um Gesamtzusammenhänge herzustellen und zu erklären. Oft scheinen diese Zahlen aber auch beliebig interpretierbar oder einsetzbar zu sein. Wie beurteilen Sie diesen Konflikt zwischen Zahlenspielen und vermeintlicher Realität?

Ja, leider bieten Kennzahlen vielfältige Manipulationsmöglichkeiten, um Wunschbilder zu generieren oder auch ganz gezielt zu manipulieren. Daher sind wir heute nicht selten in einer Welt der ‚gefühlten Wahrheiten‘ gefangen. Ein seriöser Umgang mit Kennzahlen bedingt Kompetenzen in den Themenfeldern Datenethik und Datenkompetenz, Stichwort Data Literacy. Hierzu zählt unter anderem die Fähigkeit, Daten auf kritische Art und Weise zu sammeln, zu managen, zu bewerten und anzuwenden. Dieses Thema scheint nicht selten eine untergeordnete Rolle zu spielen.

Sowohl die Diskussionen rund um die Themen Nachhaltigkeit als auch die Covid-19-Pandemie liefern uns hier aktuelles Anschauungsmaterial. So erleben wir gerade aktuell auch eine Pandemie der Zahlen mit einer katastrophalen Risikokommunikation. Wer versteht schon R-Werte, Basisreproduktionszahl, 7-Tage-Inzidenz, um das eigene persönliche Risiko zu bewerten? Weder Politiker noch die Mehrzahl der Journalisten und, was mich in den vergangenen Jahren besonders schockiert hat, auch Wissenschaftler verfügen über eine fundierte statistische Kompetenz. Da wird mit Begriffen wie Exponentialfunktion, R-Werten und Wahrscheinlichkeiten um sich geworden, ohne dass man die Begriffe wirklich versteht.

Gerade im digitalen Zeitalter sind Daten und deren Interpretation ein Schlüsselressource. Und wenn wir unvollständige Daten haben und damit beispielsweise. Szenariorechnungen erstellen, ist Data Literacy eine Schlüsselkompetenz. Ein schönes Beispiel liefern uns sogenannte Nachhaltigkeits-Scores oder Ratings zum sogenannten Environment Social Governance, kurz ESG. Bei denen sind häufig weder Begrifflichkeiten transparent definiert, noch die Kriterien, die zu bestimmten Ergebnissen führen.

Was können Wissenschaft und Forschung tun, um ein besseres methodisches Arbeiten mit Kennzahlen zu etablieren? Ich schaue dabei vor allem auf die Wirtschaft, aber auch das politischen Umfeld.

Der Vater der modernen Science-Fiction-Literatur, Herbert George Wells, hat in seinen politischen Schriften bereits vor rund hundert Jahren prophezeit: ‚Wenn wir mündige Bürger in einer modernen technologischen Gesellschaft möchten, dann müssen wir ihnen drei Dinge beibringen: Lesen, Schreiben und statistisches Denken, das heißt den vernünftigen Umgang mit Risiken und Unsicherheiten.‘ Von einem mündigen Bürger sind wir weit entfernt, da die Mehrzahl der Menschen mit Zahlen und Statistiken nicht umgehen kann. Und dabei sind es im Kern ganz einfache Fragen, die man stellen sollte: Wo kommen die Daten her? Hat jemand Interesse daran, dass die Daten nicht objektiv und repräsentativ erhoben wurden? Gab es fehlende oder unbrauchbare Daten und wie wurde damit umgegangen?

In diesem Kontext sollten wir vor allem akzeptieren, dass nichts ‚von Natur aus‘ so oder so ist und deshalb richtig oder falsch.


Ein ausführliches Interview mit Frank Romeike finden Interessenten in der gis.Business 4/2021.




Frank Romeike: Risikomanagementexperte und Geschäftsführer der RiskNET GmbH. Bild: Stefan Heigl

 

 

 

 

Keywords: Kennzahlen, Statistiken, Technik, Smart City, Forschung