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„Autos nehmen innerstädtisch nach wie vor zu viel Platz in Anspruch“

Die Mobilität in unseren Städten steht am Scheideweg. Wachsende Einwohnerzahlen, der Klimaschutz sowie ein sich änderndes Mobilitätsverhalten der Menschen machen neue Konzepte und praxistaugliche Lösungen im vom A nach B kommen unerlässlich. Wichtig ist die Verzahnung unterschiedlicher Mobilitätslösungen, um die letzte Meile zum Job oder Einkauf attraktiver zu machen. Eine Lösung im Gesamtkonzept bietet die sogenannte Mikromobilität. Welcher Mehrwert dahinter steht und vor welchen Herausforderungen Anbieter von Mikromobilitätslösungen stehen, das erklärt uns Benjamin Schnitzer, auch am Beispiel Münchens. Der Vertriebs- und Partnermanager für den Bereich Öffentliche Verwaltungen in Deutschland bei Hexagon Geospatial sagt, dass man das individuelle Verkehrsverhalten der Menschen nicht vergessen dürfe.

E-Roller als Teil der Mikromobilität. Bild: stock.adobe.com (Achim Wagner)

Herr Schnitzer, welchen Mehrwert sehen Sie in der Mikromobilität, auch mit Blick auf das reibungslose von A nach B kommen?

Ich sehe den Mehrwert insbesondere in der erhöhten Flexibilität für den Nutzer. Mit der Mikromobilität steht ein weiterer, wichtiger Baustein für intermodale Mobilitätskonzepte zur Verfügung. Denn für eine nachhaltige Mobilität reicht es nicht aus, nur in einer Dimension zu denken, sei es das Auto, die Bahn oder den Bus. Hintergrund ist, dass die Mobilitätsanforderungen sehr individuell sind. Und diese können nur durch eine optimale Vernetzung und ein nahtloses Ineinandergreifen der einzelnen Mobilitätsangebote funktionieren. An dieser Stelle leistet die Mikromobilität einen wichtigen Beitrag, sei es in Form des E-Scooters oder mithilfe von Elektrofahrrädern.

Tun es an dieser Stelle nicht auch Fahrräder oder das einfache zu Fuß gehen mit Blick auf teils schlechte Ökobilanz dieser elektrischen Fortbewegungsmittel?

Das ist sicherlich ein Punkt, an dem die Anbieter noch arbeiten müssen. Einige Anbieter tun dies auch und gehen bereits Wege, um die Akkus in sogenannten „Hubs“ laden zu lassen. Das kann zum Beispiel in einem Kiosk vor Ort passieren. Nutzer können sich damit Freifahren erarbeiten, in dem Sie die Akkus dort tauschen. Natürlich können auch klassische Fahrräder einen wichtigen Beitrag leisten, was sie ja auch seit einiger Zeit tun, siehe unter anderem das Call-a-Bike-Angebot der Deutschen Bahn. Bei all dem dürfen wir aber nicht den Faktor „Hippness“ und das bereits angesprochene individuelle Mobilitätsverhalten vergessen. Denn jeder E-Roller, der anstelle eines mit einer Person besetzten Pkw durch die Stadt fährt, ist mit Blick auf eine mögliche Ökobilanz positiv zu bewerten. Zudem sei an dieser Stelle auch auf die Flächeninanspruchnahme verwiesen. Denn anstelle eines Pkw können sicher zehn E-Roller oder Fahrräder abgestellt werden.

Das ganze Mikromobilitätsthema bringt Städten nicht nur Vorteile, wie der Ärger um E-Scooter zeigt.Braucht es hier mehr Regelungen für die Nutzung von Mikromobilen, gerade bei der Vielzahl an unterschiedlichen Klein- und Leichtfahrzeugen?

Es braucht sicherlich Regeln, wie sie für alle Verkehrsteilnehmer*innen im öffentlichen Raum gelten müssen. Ich bin an dieser Stelle aber fest davon überzeugt, dass ein verträgliches Miteinander der Mobilitätsformen ohne Weiteres möglich ist. Gefragt sind aber sicherlich die Städte und ihre Planer*innen. Andere Mobilitätsformen brauchen auch ihren Raum. Diesen muss man ihnen bereitstellen, um potenzielle Konflikte zu mindern. Autos nehmen innerstädtisch nach wie vor zu viel Platz in Anspruch. Nehmen wir als Beispiel die Hauptstadt Berlin. In der Innenstadt besitzt nur jeder zweite Haushalt überhaupt ein eigenes Auto.

Sie haben gemeinsam mit der Stadt München ein Projekt zur Mikromobilität initiiert. Welches Ziel verfolgen Sie damit und was ist Ihr Unternehmensbeitrag im Rahmen des Projekts?

Wir haben im Projekt die gesamte technische Anbindung der Mobilitätsdaten umgesetzt, inklusive der Datenaufbereitung. Anschließend wurden die Daten in fachgerechten Dashboards für die Analyse bereitgestellt. Damit konnten wir unsere bestehende Smart-Monitoring-Lösung an einem weiteren konkreten Anwendungsfall erproben. Zusätzlich implementierten wir die aktuellen Mobilitätsschnittstellen MDS (Mobility Data Specification) und GBFS (General Bikeshare Feed Specification), die jetzt als neue Funktionen auf unserer Plattform unterstützt werden.


Mikromobile: Was steckt dahinter?
Laut der Deutschen Verkehrswissenschaftlichen Gesellschaft e. V. (DVWG) verbirgt sich hinter dem Begriff elektrischer Klein- und Leichtfahrzeuge eine breite Palette unterschiedlicher Fahrzeugarten. Diese reichen vom E-Scooter über den Segway und zweirädrigen Lastenfahrrädern bis zu drei- und vierrädrigen Fahrzeugen. Besonders Mikromobile oder Elektrokleinstfahrzeuge erfahren dank der Straßenzulassung (beispielsweise bestimmte E-Scooter seit Juni 2019) eine steigende Beliebtheit. Laut dem Statistik-Portal „Statista“ waren rund 54.000 der elektrischen Tretroller im September 2019 gewerblich hierzulande unterwegs. Die meisten mit 11.000 in Berlin.


Gibt es bereits erste Ergebnisse im Rahmen des Projekts?

Ja, wir haben erste Ergebnisse. Diese sind allerdings unter der Prämisse zu sehen, dass sich seit Projektbeginn aufgrund der Corona-Pandemie das Mobilitätsverhalten erheblich verändert hat. Und doch können wir eine starke Korrelation zwischen gutem Wetter mit hohen Temperaturen und dem Nutzungsverhalten feststellen. Hinzu kommt, dass zentrale ÖPNV-Knotenpunkte sowie touristische Plätze zu den Hotspots bei Ausleihen und Rückgaben von E-Scootern gehören. Zudem zeigt sich, dass die neu eingerichteten E-Scooter-Parkplätze Münchens je nach Lage völlig unterschiedlich angenommen werden, von sehr gut bis gar nicht. Eine weitere Erkenntnis: Falsch geparkte Fahrzeuge sind ein Thema, da sich konstant über den gesamten Zeitraum rund zwei bis drei Prozent der Fahrzeuge in den Parkverbotszonen der Stadt befinden.

Nun können Analyseverfahren im Mobilitätsumfeld, wie zuvor beschrieben, einen wertvollen Beitrag leisten, mit den richtigen Daten die richtigen Entscheidungen zu treffen. Doch wie lassen sich richtige Entscheidungen auf Basis großer Datenmengen fällen, um nicht in die Falle einer Scheinkausalität zu tappen?

Hier steht die Technologie nicht alleine. Es muss fachübergreifend gearbeitet werden. Das ist es auch, was unser Projekt in München so spannend macht. Es sind nicht nur GIS- und Daten-Experten*innen beteiligt, sondern auch Mobilitäts- und Stadtplaner*innen. Diese haben schon den kritischen Blick auf die Logik hinter den entsprechenden Analysen und sind damit sehr zufrieden, welche Datenqualität bereits vorhandenen ist. Denn diese Daten lassen sich räumlich in einen völlig neuen Kontext setzen. Gleichzeitig zeigt sich in diesem Vorgehen unterschiedlicher Disziplinen und Experten, dass ein interdisziplinärer Ansatz notwendig ist.


Einen ausführlichen Beitrag zum Thema „Mikromobilität“ finden Sie in der kommenden Ausgabe 3/2021 der gis.Business.


In welchen Mobilitätsbereichen sind diese Analyseverfahren noch einsetzbar?

Grundlegend lässt sich sagen: Die Verfahren sind auf alle Bereiche anwendbar, in denen Bewegung eine Rolle spielt und in dem ein Status an die Plattform gesendet werden kann. Je mehr, desto besser. Wir haben beispielsweise schon ein Monitoring für Fischereibehörden aufgebaut. Damit wird eine vollautomatische Kontrolle von vorher definierten Fischereigebieten möglich. Auch lassen sich einfach Sensoren zu defekten Beleuchtungen anbinden oder eine Parkplatzbewirtschaftung umsetzen.

Wenn Sie nach vorne schauen: Welche Mobilität der Zukunft wünschen Sie sich für die urbanen Zentren von morgen?

Wünschenswert sind nachhaltige, leise, sichere und intermodale Konzepte. Städte müssen ein Raum für die Bewohner werden und nicht für die Mobilität. Daran müssen sich zukünftige Konzepte messen lassen.


Benjamin Schnitzer ist Vertriebs- und Partnermanager für den Bereich Öffentliche Verwaltungen in Deutschland bei Hexagon Geospatial


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