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Gebäudefassaden zur Gewinnung von Solarenergie

Nicht nur Dächer können zur Gewinnung von Strom aus Sonnenenergie genutzt werden; auch Gebäudefassaden könnten bei der Energiewende eine viel bedeutendere Rolle spielen als bisher.

In den Fokus zur Gewinnung von Solarenergie rücken jetzt Gebäudefassaden. Bild: Rainer Sturm/Pixelio

Das Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung hat gemeinsam mit dem Fraunhofer ISE das theoretische Flächenpotenzial zur Gewinnung von Strom aus Sonnenenergie an Gebäudefassaden für ganz Deutschland erhoben. Es ist doppelt so groß wie das der Dächer. Die Ergebnisse sind im Fachmagazin „Transforming Cities“ veröffentlicht.

Solaranlagen auf Dächern

Die Solaranlage auf dem Hausdach hat sich im deutschen Gebäudesektor längst etabliert. Vielerorts geben Solarkataster Auskunft über das Potenzial, auf Dächern Energie aus Sonnenstrahlen zu gewinnen. Kommunen setzen damit Anreize, sich für die Installation einer Photovoltaik-Anlage auf dem Dach zu entscheiden. Doch wie steht es um die Fassaden der Gebäude? Wie viel potenzielle Fläche bieten sie für die Gewinnung erneuerbarer Energien?

12.000 Quadratkilometer Flächenpotenzial - in der Theorie

„Für das Ziel der Bundesregierung, im Gebäudebestand bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen, werde es nicht ausreichen, auf allen geeigneten Dächern in Deutschland Solaranlagen zu installieren, erläutert Dr. Martin Behnisch vom Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung (IÖR). Deshalb hat das IÖR im Projekt Standard-BIPV in enger Kooperation mit wissenschaftlichen Partnern wie dem Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE), dem Institut für Angewandte Bauforschung Weimar (IAB), dem Lehrstuhl für Geoinformatik der TU München sowie mit Praxispartnern der Solarindustrie zusätzlich die Fassaden von Gebäuden in den Blick genommen. Gefördert wurde das Vorhaben durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie. Auf der Basis amtlicher Geodaten hat das Team um Dr. Behnisch am IÖR untersucht, welche Flächenpotenziale für bauwerksintegrierte Photovoltaik (BIPV) die Gebäudefassaden in Deutschland bieten.

Gebäudefassaden zur Gewinnung von Solarenergie nutzen

Die ermittelten Zahlen sind beachtlich: Das theoretische Flächenpotenzial lasse sich auf rund 12.000 Quadratkilometer Fassadenfläche und knapp 6.000 Quadratkilometer Dachfläche beziffern, erläutert Dr. Behnisch. Gebäudefassaden böten damit rund doppelt so viel potenzielle Fläche für Photovoltaik-Module wie Dächer. Das entspricht rund der Hälfte der Fläche von Mecklenburg-Vorpommern. Allerdings müsse man auch betonen, dass es sich im Moment noch um theoretische Flächenpotenziale handle.

 

Kleinräumige Solarpotenzialanalysen berücksichtigen nicht nur die Gebäude und ihre Flächen, sondern beziehen auch die unmittelbare Umgebung der Gebäude in die Modellierung mit ein. Hier wird deutlich, welchen Einfluss der Baumbestand und der damit verbundene Schattenwurf auf die solare Einstrahlung haben. Blau steht für wenig, rot für viel Einstrahlung.

 

Berechnungen auf Basis bundesweiter amtlicher Geodaten

Denn die Ergebnisse haben Pioniercharakter. Sie fußen auf Daten, die die Verhältnisse in der Realität zum Teil stark vereinfachen. Für ihre Untersuchung haben die Forscher ein 3D-Gebäudemodell des Bundesamtes für Kartographie und Geodäsie (BKG) analysiert. Es enthält Informationen zum gesamten Gebäudebestand der Bundesrepublik. Jedes Haus ist als Klötzchen mit Flachdach verzeichnet. Detaillierte Dachformen und daraus resultierende Giebelwände, Fenster, Türen, Auskragungen wie Balkone und andere Installationen sind im Gebäudemodell nicht berücksichtigt. Sie sind in den ermittelten Flächenpotenzialen noch nicht eingerechnet ebenso wie Aspekte des Denkmalschutzes oder der hochwertigen Fassadengestaltung. Gebäudefassaden, die sich berühren und damit für die Installation von Photovoltaik nicht in Frage kommen, hat das Forschungsteam hingegen bereits herausgerechnet. Hinzu kamen Detailanalysen in drei Fokusgebieten, den Städten München, Freiburg und Dresden, sowie einer bundesweiten Stichprobe von 100.000 Gebäuden.

In enger Kooperation mit einem Team um Prof. Thomas H. Kolbe von der TU München haben die Forscher des IÖR für alle Dach- und Fassadenflächen die solare Einstrahlung modelliert und visualisiert und so den möglichen solaren Energieertrag kleinräumig lokalisiert. Dafür hat das Team nicht nur auf detailliertere Gebäudemodelle mit ihren individuellen Dachformen zurückgegriffen. Auch die Umgebung der Gebäude, etwa Bäume und ihr Schattenwurf oder die Verschattung durch andere Gebäude sowie das Gelände und umgebende Berge wurden in die Berechnungen mit einbezogen.

Photovoltaik an Gebäuden besser planbar

Das Ergebnis sind verschiedene Visualisierungen zu Flächenpotenzialen und möglichen Solarenergieerträgen in Deutschland. So lässt sich zum Beispiel die räumliche Verteilung der Flächenpotenziale in Deutschland aufzeigen. Deutlich wird: Wo viele Menschen auf relativ engem Raum leben, ist auch das Potenzial für bauwerksintegrierte Photovoltaik-Module besonders hoch. Das ist zum Beispiel in den Ballungsräumen Rhein-Main, Rhein-Neckar und Rhein-Ruhr der Fall, ebenso wie in den städtischen Ballungszentren Berlin, Hamburg, Bremen, München oder dem Sachsendreieck Dresden-Leipzig-Chemnitz.

Die Modellierung der potenziellen Sonnenenergieerträge am Beispiel konkreter Gebäude macht deutlich, dass sich die Installation von Photovoltaikanlagen an Fassaden vor allem bei großen Gebäuden wie Produktionshallen, Bildungseinrichtungen oder öffentlichen Gebäuden lohnt. Aber auch große Wohnkomplexe wie Hochhäuser böten durchaus großes Potenzial für die Installation von Photovoltaik, so Dr. Behnisch.

Das Projektteam im IÖR sieht die gewonnenen Daten als ersten Schritt zu einer besseren Planung der Energiegewinnung an Gebäuden. Die Daten müssten an den konkreten Standorten noch durch genauere Analysen spezifiziert werden. Aber sie gäben doch einen Eindruck davon, welche großen Potenziale in bauwerksintegrierter Photovoltaik schlummerten, so Dr. Behnisch. Vor allem mit Blick auf die Ziele zur CO2-Einsparung seien das wichtige Ansatzpunkte. Auch mit Blick auf die Verkehrswende und die Herausforderungen der E-Mobilität sei es sinnvoll, mehr saubere Energie in den Städten zu gewinnen. Darüber hinaus gebe es auch Vorteile für den Umweltschutz. Jedes Photovoltaik-Modul, das man an einer Hausfassade installiere, helfe dabei, Natur und kostbaren Boden zu schonen, denn es mache den Bau flächenintensiver Solarparks überflüssig.

Weitere Informationen unter www.ioer.de

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