Andreas Eicher

Singapur: höher, schneller, weiter, BIM

Einem Graffiti an einem Hochhaus in Athen zufolge sollte man diese einreißen, da sie die Sonne verdecken. Nun ist das mit der Sonne nicht immer so einfach in unseren Breitengraten – gerade aktuell. Aber Hochhäuser abreißen kommt aufgrund der Wohnungsnot vieler Menschen in den teuren Ballungsräumen und wegen der Spekulationssucht mancher Immobilienunternehmen in unseren Städten meist nicht in Betracht. Aber das ist eine andere Geschichte.

Hoch ist oft nicht hoch genug in Singapur (Bild: Andreas Eicher)

Unsere Story handelt indes vom Bauboom in Asien und hier speziell dem höher, schneller und weiter in Singapur. Die Metropole hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einem der wichtigsten Dreh- und Angelpunkte der Finanzindustrie und des Handels auf dem asiatischen Kontinent etabliert. „Vom Warenumschlagplatz zur Wirtschaftsmetropole“ schreibt die Welt [1]. Heute zählt das Land zu den technologischen und digitalen Vorreitern auf dem asiatischen Kontinent, wenn nicht weltweit. Letzteres unterstreichen die modernen und nachhaltigen Bauprojekte Singapurs. Die Regierung nennt das Ganze „Smart Towns“ als ein Baustein der übergeordneten Initiative „Urban Living“. Im Verbund mit weiteren Initiativen sollen sie den Weg ebnen hin zur „Smart Nation Singapore“. Neue Stadtteile, architektonisch beeindruckende Wolkenkratzer, nachhaltiges Bauen mit begrünten Fassaden und Dächern, sind die vielfältigen Facetten einer Baupolitik, die nach der Devise verfährt: Es gibt nichts, was es nicht gibt. Das zieht Konzerne und damit Menschen aus aller Welt an. Und auch Touristen rücken in Scharen an, um sich ein Bild der Hochglanzmetropole zu machen. Kein Wunder, dass der Insel- und Stadtstaat im internationalen Ranking den vierten Platz bei den meistbesuchten Städten der Welt einnimmt. 16,6 Millionen Besucher sollen es laut Ranking 2017 gewesen sein, die dem Insel- und Stadtsaat einen Besuch abstatteten. Hinzu kommen rund 5,6 Millionen Einwohner. All diese Menschen brauchen Platz zum Arbeiten, Wohnraum und Infrastruktur. Und das auf einer Fläche, die mit 730 Quadratkilometern gerade halb so groß wie Londons Metropole ist. So entstehen immer mehr Wolkenkratzer für die Konzerne und ihre Mitarbeiter, sind ganze Stadtteile und die Randbezirke mit Hochhäusern durchzogen, sowie endlos große Einkaufszentren und -komplexe für das Amüsement entstanden.

Digital ist Trumpf: bei Ankunft und Abflug

Kaum gelandet, erwartet den Besucher Singapurs mit dem „Singapore Changi Airport“ ein erster Vorgeschmack auf die architektonische, technische und digitale Realität des Stadt- und Inselstaats. So schreibt das „Singapore Tourism Board“ von einem Reiseziel für sich. Wer den umgekehrten Weg geht und Singapur via Flugzeug verlässt, dem steht das Konzept Fast And Seamless Travel (FAST) zur Verfügung. Nach Aussage des Tourismusverbands verbergen sich dahinter voll automatisierte Optionen, mit denen Passagiere selbstständig und schneller einchecken sowie ihr Gepäck markieren können. Die Verantwortlichen betonen: „Das im Dezember 2017 neu eröffnete Terminal 4 bietet zahlreiche Informationsstände mit Videoanweisungen, damit Sie in kürzester Zeit zu Ihrem Gate gelangen“ [2].

Das neue Terminal 4: modern, nachhaltig, intelligent (Bild: Changi Airport Group)

Apropos Terminal 4. Prozesse und Abläufe sind wichtige Elemente für den reibungslosen Ablauf von Infrastrukturen – meist unsichtbar und leise Funktionieren heißt ihr Auftrag. Ein Beispiel ist das Entsorgen des Müllaufkommens an einem Flughafen. Die Herausforderung: Bei steigenden Passagierzahlen nimmt die Müllmenge zu. Mit einem geschätzten Durchlauf von bis zu 16 Millionen Passagieren pro Jahr, entsteht am Terminal 4 Changi Airports jede Menge Müll. Für die Verantwortlichen war die manuelle Müllabfuhr keine tragfähige Option für die Zukunft – vor allem aufgrund von Sicherheitsbedenken. Daher baute und installierte das Unternehmen Stream Environment Sdn. Bhd. ein automatisiertes Abfallsammelsystem (AWCS). Um die engen Fristen einzuhalten und sich mit den Beteiligten für die Eröffnung des Terminals abzustimmen, benötigte Stream eine flexible, interoperable Designtechnologie. Das Unternehmen Bentley sorgte dafür, dass die integrierte Technologielösung die Entwicklungszeit im Vergleich zu AutoCAD um elf Tage verkürzte.Mithilfe der Bentley-Lösung „Promis.e“ zur besseren Elektroplanung dank „intelligenter Modellierung“ wurden zudem die Berichtserstellung beschleunigt und Designfehler reduziert. Insgesamt verbesserte die Anwendung die Koordination und optimierte die Designgenauigkeit. Das geschätzte Einsparpotenzial liegt nach Aussagen von Bentley bei rund 100.000 Singapur Dollar (rund 64.000 Euro, Stand Mitte November 2018) [3].

BIM – Paradigmenwechsel, Kultur und Historie

Damit das Versprechen „Promise“ ohne Hürde, sprich Punkt oder sonstige Stolperfallen, eingehalten werden kann, müssen Unternehmen vorab ihre Hausaufgaben machen. Das heißt, sie sollten in der Lage sein, den digitalen Weg im Bereich des Building Information Modeling, kurz BIM, zu gehen. Hierzu sind Wissen sowie die Bereitschaft zu einem Paradigmenwechsel im Prozess- und Arbeitsablauf notwendig. Für Lutz Bettels, Vice President Manufacturing & Facilities beim Unternehmen Bentley, verlange BIM eine holistische und kooperative Arbeitsweise mit dem Ziel, Projektrisiken wie beispielsweise Termin- oder Budgetüberschreitungen so früh wie möglich zu erkennen und entgegenzuwirken. „Das Ziel der Planung ist nicht mehr nur, die vertraglich vorgeschriebenen Planungsleistungen und -unterlagen an bestimmten Projektmeilensteinen zu liefern, sondern einen digitalen Zwilling zu erstellen“, so L. Bettels. Damit sei nach L. Bettels Worten eine Projektbewertung und Risikoanalyse aller Beteiligten zu jedem Zeitpunkt der Planung und Bauausführung möglich.Weitere unerlässliche Stützpfeiler sind ein auf BIM ausgerichtetes Informations-Management und die notwenige digitale Infrastruktur. Während Deutschland BIM erst bis 2020 stufenweise einführt, ist Singapur bereits weiter. Die Methode ist in der hiesigen Bauwirtschaft weit verbreitet. Andy Brahney, Senior Technician beim Ingenieur- und Planungsunternehmen Ramboll, sieht mit Blick auf Singapur, dass die Digitalisierung und die Anwendung neuer Methoden, wie BIM, mehr als Bereicherung denn als Risiko wahrgenommen werde. A. Brahney: „Während wir in Berlin, London oder Paris viele Bedenkenträger haben, herrscht hier ein anderes Denken. Digitale Veränderungsprozesse werden in Singapur positiver bewertet und man erkennt die Chancen, des technologischen Fortschritts.“ __________________________________________________________________________________________________

Ein Interview zum Thema „Singapur: Planen, Bauen und der Mensch“ mit dem Ingenieur- und Planungsunternehmen Ramboll finden Sie in der aktuellen Ausgabe 6/2018 der gis.Business.
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Und für L. Bettels erschwere auch die Struktur der deutschen Bauindustrie die Einführung von BIM. Hierzu gehörten seiner Meinung nach unter anderem strenge gesetzliche Planungsvorschriften und Rahmenbedingungen, Honorarordnungen, die Vergütung in Phasen einteilen und BIM-Planungsleistungen. L. Bettels sieht darüber hinaus eine gewisse deutsche Skepsis gegenüber Veränderungen. „Nicht unbedingt die Ausgangssituation, die man in Ländern wie Singapur wiederfindet“, resümiert L. Bettels.

Mit seiner Offenheit gegenüber neuen Ideen, Technologien und Methoden kann sich Singapur einen Wissensvorsprung erarbeiten. In digitalen Zeiten ein wesentlicher Faktor erfolgreicher Organisationen und Staaten, die damit schnell und flexibel auf neue Gegebenheiten reagieren können. Diese sogenannten „Early Adopter“, erkennen früh die richtigen technologischen Trends für das eigene Tun und passen diese individuell an die Bedürfnisse und Herausforderungen an. In Verbindung mit einer klaren Strategie ergeben sich damit neue Handlungsoptionen, mit deren Hilfe sich ein Land wie Singapur als Visionär in einer Zeitenwende der digitalen Disruption optimal positionieren kann. Ein Vorteil Singapurs liegt sicher in der überschaubaren Größe als Stadt- und Inselstaat. Hier können Veränderungsprozesse besser greifen, sind neue Möglichkeiten der digitalen Entwicklung schneller adaptiert. Wichtig ist hierbei eine offene Kultur sich dem Neuen nicht zu verschließen.

Tradition und Moderne: in Singapur kein Widerspruch (Bilder: Andreas Eicher)

Eine digitale und eng vernetzte Welt wird in Singapur nicht mit einem Eingriff in die persönlichen Freiheiten, der Bedrohung des Datenschutzes oder permanenter Hackerangriffe gleichgesetzt. Vielmehr herrscht ein optimistisches Denken mit Blick auf das digital Erreichte und noch Machbare. Will heißen, eine digital eng vernetzte Welt wird als klarer Mehrwert auf dem Weg hin zu neuen Zielen und der Smart Nation Singapore gesehen.

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Quellen:

 [1] https://www.welt.de/reise/staedtereisen/article173133754/Ranking-Das-waren-2017-die-meistbesuchten-Staedte-der-Welt.html

[2] http://www.visitsingapore.com/de_de/travel-guide-tips/travelling-to-singapore/changi-airport-singapore/

[3] https://www.bentley.com/en/project-profiles/2017/stream-environment_waste-collection-changi-airport