Letzten Sonntag startete die UN Ocean Conference im französischen Nizza. Garniert mit einer gehörigen Portion Eigenlob sprechen die Veranstaltungsmacher der Vereinten Nationen von einer hochrangigen Konferenz (9. bis 13. Juni 2025) der Vereinten Nationen und von Erhaltung und einer nachhaltigen „Nutzung der Ozeane, Meere und Meeresressourcen für eine nachhaltige Entwicklung“. Nachhaltig sollen die Ziele und Entwicklungen zum Schutz der Weltmeere sein. Zudem werden „alle relevanten Interessengruppen“ einbezogen „und Regierungen, das System der Vereinten Nationen, zwischenstaatliche Organisationen, internationale Finanzinstitutionen, andere interessierte internationale Gremien, Nichtregierungsorganisationen, zivilgesellschaftliche Organisationen, akademische Einrichtungen, die wissenschaftliche Gemeinschaft, den Privatsektor, philanthropische Organisationen, indigene Völker und lokale Gemeinschaften sowie andere Akteure zusammenbringen, um die Herausforderungen und Möglichkeiten im Zusammenhang mit der Umsetzung von Ziel 14 sowie die entsprechenden Maßnahmen zu bewerten“.
Von green zu clean zur wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit und mehr Rüstung
Der eigens kreierte Bandwurmsatz der Veranstalter möchte den großen Wurf unterstreichen, indem allen relevanten Gruppen die Konferenztüren offenstehen. Vollmundige Worte, die in der Vergangenheit vergleichbarer Veranstaltungen meist zu mehr Verdruss als Lust am Klima- und Umweltschutz führten. Zudem hat sich der Wind gedreht: Klimaschutz und die dafür dringend notwendigen Umweltmaßnahmen werden im Zuge einer schleppenden Weltwirtschaft verdrängt oder gar zurückgedreht. Und das nicht nur in den USA unter Donald Trump. Nein, auch innerhalb der Europäischen Union (EU) stehen die Zeichen auf mehr Wettbewerbsfähigkeit. Die Tageszeitung Der Standard titelte hierzu jüngst „Aus ‚green‘ wird ‚clean‘: Wie die EU leise, aber folgenschwer vom Klimaschutz abrückt“ und folgert: „US-Zollkrieg, Chinas Billigkonkurrenz: Brüssel schwenkt angesichts der globalen Lage auf die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit um.“ Nicht zu vergessen: Das geopolitische Klima heizt sich zunehmend auf und die Schreie nach mehr Rüstung und militärischer Abschreckung sind nicht mehr zu überhören. Das will bezahlt sein. Gewinner sind die Rüstungskonzerne, Verlierer ist der globale Klimaschutz.
Alpen, Gletscherschmelze und die Folgen für die Küstenregionen
Zu beobachten sind die bildlich zu sehenden Verlierer beispielsweise in den Alpen. In den Hohen Tauern Österreichs forscht seit vielen Jahren Dr. Bernhard Zagel. Als Gletscherforscher der Paris-Lodron-Universität Salzburg blickt er mit Sorgen auf die Gletscherschmelze und sieht direkte Auswirkungen des Ganzen in den Küstenregionen. Dr. B. Zagel: „Der Klimawandel und die damit verbundene Gletscherschmelze, aber noch mehr das Abtauen der kontinentalen Eisschilde, haben erhebliche Auswirkungen auf küstennahe Regionen.“ Und er ergänzt: „Durch das Abschmelzen der Gletscher steigt der globale Meeresspiegel kontinuierlich an, was schon jetzt zu Überflutungen, Küstenerosion und Salzwassereintritt in Süßwasserreservoirs führt.“ Das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung spricht im Beitrag zu „Kippelemente – Großrisiken im Erdsystem“ von der Eis-Albedo-Rückkopplung. „Wo das helle Eis schwindet, kommt meist ein dunklerer Untergrund zum Vorschein, sei es das felsige Bett eines Gletschers oder das Meer. Diese freigelegte dunkle Oberfläche nimmt mehr Sonnenwärme auf, die wiederum den Schwund des verbliebenen Eises beschleunigt“, so die Informationen des Instituts. Weiter heißt es: „Dieser Mechanismus, die sogenannte Eis-Albedo-Rückkopplung, ist ein klassisches Beispiel eines selbstverstärkenden Prozesses (…)“. Und dieser Eisverlust ist „sowohl Folge als auch ein Teil der Ursache der lokalen Temperaturerhöhung (…)“
Zur Sache – Gletscherschmelze und steigende Meeresspiegel
Erfahren Sie mehr in unserem Interview unter dem Titel: „Gletscherschmelze hier, steigende Meeresspiegel da“ mit Dr. Bernhard Zagel von der Paris-Lodron-Universität Salzburg in der Ausgabe 3/2025 der gis.Business.
Gletscherforscher Dr. B. Zagel mahnt, dass neue bzw. bestehende Hochwasserschutzinfrastrukturen wie Deiche, Sturmflutsperren und Schutzmauern laufend zu evaluieren und adaptieren seien. „Zudem ist eine angepasste Stadtentwicklung nötig, indem hochwassergefährdete Gebiete für Neubauten gesperrt, grüne Infrastrukturen wie Mangrovenwälder oder künstliche Feuchtgebiete gefördert und Schwammstadtkonzepte umgesetzt werden“, so der Wissenschaftler. Seiner Meinung nach spielten Geo-IT-Lösungen eine zentrale Rolle im Katastrophenschutz und der Anpassung an den Klimawandel. Das heißt für den Wissenschaftler: „Durch die Analyse und Visualisierung geographischer Informationen können sie Frühwarnsysteme unterstützen, Risikobewertungen verbessern und Schutzmaßnahmen gezielter umsetzen.“
Valide Aussagen und die notwendigen Schritte
Wichtig sind in diesem Zusammenhang valide Voraussagen zu zukünftigen Klimaereignissen. Bereits 2016 umriss das Potsdam-Institut „robuste Abschätzungen“ des Meeresspielanstiegs mit prozessbasierten Computersimulationen. „Für den künftigen Meeresspiegelanstieg haben die Wissenschaftler zwei Ansätze kombiniert. Um den Anstieg abschätzen zu können, nutzen sie prozessbasierte Computersimulationen, die den Beitrag schmelzender Gletscher, den Masseverlust der Eisschilde und die thermische Expansion des Meerwassers errechnen (…)“, erklärt das Institut auf seinen Seiten. Und wo die Geo-IT ist, da darf mittlerweile die künstliche Intelligenz (KI) nicht fehlen. Forscher der Universität Hamburg nutzen die KI in Kombination mit Wetterdaten und einem traditionellen Klimarechenmodell, um „die Häufigkeit und Höhe von Sturmfluten in den nächsten zehn Jahren vorhersagen“. Laut Universitätsinformationen des Centrums für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit (CEN) konnten Klimamodelle bisher nur berechnen, „ob in Zukunft mehr Stürme im Bereich der Nordsee entstehen (…)“. Was in diesen Berechnungen nach CEN-Informationen bisher fehlte, war, wie sie sich an bestimmten Küstenorten auswirken werden. Doch genau diese Informationen sind für den individuellen Küstenschutz vor Ort wichtig, um beispielsweise geeignete Deiche zu errichten oder Hafenanlagen sicherer zu machen. Die Auswertung der entsprechenden Daten ist mithilfe der Lösung „mehrere Hundert mal schneller als traditionelle Klimamodelle, die viel Rechenzeit benötigen“. Wichtig dabei ist, dass die Prognosen verlässliche Ergebnisse liefern, was an den Beispielen Cuxhaven, Esbjerg (Dänemark) und dem Niederländischen Delfzijl ermittelt wurde.
In Summe kann die Wissenschaft mit ihrer Feld- und Forschungsarbeit einen wichtigen Beitrag in die richtige Richtung eines angewandten Küstenschutzes leisten. Damit diese Maßnahmen in die Breite der Anwendung kommen, sind indes weitere Mitspieler gefragt. Allen voran die Politik. Sie muss – abseits eines permanenten Postulats des wirtschaftlichen Wachstums – die Weichen stellen und endlich umfassend die notwendigen Schritte für ein qualitatives Mehr an Küstenschutz einleiten. Denn der menschengemachte Klimawandel hat nicht nur direkte Auswirkungen auf unsere Küsten der Nord- und Ostsee. Betroffene vom Meeresspiegelanstieg, den Stürmen und Überschwemmungen sind vor allem die, die am wenigsten zum Klimawandel beitragen. Das heißt die Menschen in den entlegenen Küstenregionen und Archipelen der Weltmeere. Und daran werden auch UN-Konferenzen, wie in Nizza, nichts ändern. Denn der Wind hat sich gedreht.