In Deutschland passieren mehr als 60 Prozent der tödlichen Verkehrsunfälle auf Landstraßen. Bislang gibt es nur wenig belastbare Daten und Forschung zum Verkehrsverhalten und zur Verkehrssicherheit im ländlichen Raum. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) hat im Projekt Vriedrich (Verkehrsbeobachtung und -analyse im ländlichen Raum im Kontext der Verkehrssicherheit) erstmals das Verkehrsgeschehen auf Landstraßen mit modernster Messtechnik automatisiert und systematisch beobachtet und ausgewertet. Dafür verwendeten die Wissenschaftler ein spezielles Kamerasystem: Es besteht aus zwei Stereo-Kameras, die den Verkehr in Schwarz-Weiß und reduzierter Qualität erfassen. Gesichter oder Kennzeichen sind auf diesen Aufnahmen nicht erkennbar. Die Kameras sind an einem ausfahrbaren Mast befestigt. Dieser ist Teil der mobilen Messstation in Form eines Anhängers. Im Anhänger ist auch die Rechentechnik untergebracht, welche die Daten speichert und verarbeitet. Eine am DLR entwickelte Software wertet die Aufnahmen dann selbstständig aus und erzeugt Daten zu Wegen, Verkehrsmitteln und Geschwindigkeiten.
Mobile DLR-Messstation im Einsatz für sicherere Landstraßen
Die Forschenden wählten exemplarisch zwei Messstellen auf der Bundesstraße 179 in Brandenburg aus: eine Kreuzung ohne Ampel in der Nähe einer Bushaltestelle und eine Ortseinfahrt. An beiden Stellen erhoben sie jeweils zwei Wochen lang im Sommer und im Herbst 2023 die Bewegungsdaten aller Verkehrsteilnehmenden. Dazu zählten der motorisierte Straßenverkehr – Pkw, Lkw und Busse sowie Motorräder, Roller und E-Scooter – und Menschen auf dem Fahrrad oder zu Fuß.
Moderne Erfassungstechnik liefert zuverlässige und umfassende Verkehrsdaten
Für sie war es spannend herauszufinden, wie groß das Verkehrsaufkommen an den beiden Stellen überhaupt war und wie es sich über den Tag verteilte. Sie hätten außerdem untersucht, wie sich die Verkehrsteilnehmenden im ländlichen Raum verhielten – und welche Auswirkungen das auf die Sicherheit hätte, beschreibt Claudia Leschik, Leiterin des Projekts und Forscherin am DLR-Institut für Verkehrssystemtechnik. Die Situation im ländlichen Raum ist im Vergleich zur Stadt geprägt von höheren Geschwindigkeiten und Überholvorgängen. Teilweise gibt es schwer einsehbare Kurven und Kuppen, Wildwechsel und weniger Ampeln.
Die Ergebnisse haben die Wissenschaftler teils überrascht. Der Pendelverkehr am Ortseingang sei ähnlich verteilt wie in der Stadt gewesen, mit zwei Spitzen morgens und nachmittags. Dazu sei ein stark von Wochentagen, Ferien und Jahreszeiten abhängiger Freizeitverkehr gekommen. Den sehe man in der Stadt nicht so ausgeprägt, fasst Leschik zusammen. Deutlich wurde auch, dass sich die Verkehrsteilnehmenden an die Gegebenheiten anpassen und sie für sich flexibel nutzen. Busse und Lkw kommen aufgrund des engen Kurvenradius regelmäßig auf die Gegenspur, kalkulieren das aber mit ein. Viele Menschen gehen zu Fuß oder fahren mit dem Fahrrad, obwohl es keine Fuß- oder Radwege gibt. Sie nehmen sich den Platz, auch wenn das teilweise zu gefährlichen Situationen führt. Auch überhöhte Geschwindigkeit und unerlaubte Überholmanöver hat das DLR-Team bei der Auswertung häufig beobachtet. Teilweise fuhren Autos rückwärts, wenn sie die Abbiegung verpasst hatten.
Daten als Entscheidungsgrundlage für Verkehrsplanung
Wenn man dieses gefährliche Verhalten und die Gründe dafür kenne, könne man auf Basis von Daten viel gezielter Maßnahmen für mehr Verkehrssicherheit vorschlagen, so Leschik. Als Beispiele nennt sie für die untersuchten Stellen: Querungshilfen für Menschen, die zu Fuß oder mit dem Rad unterwegs sind, sowie einen kombinierten Geh- und Radweg. Um den motorisierten Verkehr früher und deutlicher vor der Kreuzung und der Ortseinfahrt abzubremsen, sollten Hinweisschilder früher angebracht werden und durchgezogene Linien auf der Fahrbahn das Überholen einschränken.
Das Projekt Vriedrich fand im Auftrag des Deutschen VerkehrssicherDaten als Entscheidungsgrundlage für Verkehrsplanungheitsrat (DVR) statt. Dieser prüft in regelmäßigen Abständen die Regelkonformität und Sicherheit von Straßen. Für die dafür notwendigen Erhebungen kommen bislang Zählgeräte oder menschliche Beobachtende zum Einsatz, was den zeitlichen Umfang erheblich einschränkt. Technologische Lösungen wie die mobile Messstation des DLR können hier einfacher, zuverlässiger und wesentlich umfangreicher Daten sammeln und auswerten. Notwendig sind dafür eine ebene Standfläche und freie Sicht der Kameras auf die Streckenabschnitte.
Die mobile Messanlage ist ein wichtiger Bestandteil der Erfassungstechnologie des DLR-Instituts für Verkehrssystemtechnik. Sie kann überall dort zur Anwendung kommen, wo die Verkehrssituation – auf Straße und auch Schiene – zeitlich begrenzt erfasst und ausgewertet werden soll. Das war bereits mehrfach der Fall an der Braunschweiger Forschungskreuzung und beim Testfeld Niedersachsen für automatisierte und vernetzte Mobilität.
Das Feedback von Auftraggeber, Kommunen und Behörden für den ersten Einsatz der mobilen Messanlage auf Landstraßen ist positiv: Neben dem DVR als Auftraggeber interessieren sich auch Kommunen und Behörden für die gesammelten Daten als Entscheidungsgrundlage für die Verkehrsplanung.
Weitere Informationen unter www.dlr.de