Von Sturmhauben, Veganern und dem Terrorkampf

Andreas Eicher
Gesichtserkennung und Location Intelligence – zwei, die sich ergänzen (Bild: fotolia_@nt)

Gesichtserkennung und Location Intelligence – zwei, die sich ergänzen (Bild: fotolia_@nt)

Menschen mit Sturmhauben auf dem Kopf im Supermarkt zwischen den Regalen. Vater, Mutter mit großen Masken, die Kinder tragen kleine Masken. Nein, es handelt sich hierbei nicht um einen Familienüberfall beim Discounter oder Einzelhändler um die Ecke. Vielmehr geht es um die Verschleierung des eigenen Gesichts. Hintergrund des fiktiven und zugleich makabren Treibens sind die fortschreitenden Analysemethoden von Handelsunternehmen in ihren Verkaufsgeschäften. Denn die planen die Gesichtserkennung in ihren Märkten voranzutreiben. Als Reaktion auf den zunehmenden Onlinehandel möchten die Einzelhandelskonzerne dem Big-Data-Treiben im Internet in nichts nachstehen und rüsten auf. So sollen mithilfe analytischer Methoden die Interessen und das Kaufverhalten von Kunden bereits im Supermarkt in zielgerichtete Werbung münden. Spiegel Online schriebt hierzu: „Die Zeiten, in der Verbraucher ziellos und unbehelligt durch einen Supermarkt laufen können, sind vorbei.“ Und das Nachrichtenportal führt fort: „Wer gedankenlos auf einen Bildschirm mit Werbung blickt, bekommt in vielen Märkten bereits heute das zu sehen, was ihn – vermeintlich – interessiert. Kameras analysieren, wie lange jemand den Filmen zusieht und wer vor ihnen steht: Mann oder Frau, alt oder jung – das System wählt zielgruppengerechte Spots aus“ [1].

Krieg, Terror oder die Simpsons

Im Grunde setzen Einzelhandelskonzerne damit einen Trend fort, der seit Jahren in allen Bereichen des wirtschaftlichen, politischen und privaten Lebens Einzug hält. Es geht um die Vermessung des Menschen in allen Facetten, um Bewegungsprofile und letztlich darum zu erfahren, wer, wann, wo und vor allem warum ist. Die Gründe sind vielfältig und münden doch in einem: Dem Denken des anderen möglichst einen Schritt voraus zu sein und sein Kaufverhalten, seine Wünsche, bösen Absichten oder geplanten Taten vorauszusehen. So entsteht eine intransparente Gemengelage aus Marketingzielen, Verkaufsförderung, Gefahrenabwehr und Terrorbekämpfung. Leider in vielen Fällen ohne das Wissen des Untersuchten, der beobachteten Personen.

Was im Zuge des Kampfes gegen organisierte Kriminalität und Terror oder im frühen Erkennen möglicher Naturkatastrophen, Unfallgefahren sowie dem Schutz bedrohter Tiere gerechtfertigt erscheint, ist es an anderer Stelle noch lange nicht. Denn ob jemand sich vegan ernährt oder jeden Tag Fleisch kauft, ist eine moralische Frage, die jeder für sich beantworten muss oder auch nicht. Gleiches zählt für den Gang zur Disco, wie lange jemand dort tanzt oder ob er lieber nachts vor dem Bildschirm sitzt und Florian Silbereisen, die Simpsons oder Talkshows schaut. Das ist Privatsphäre. Ein Wort, das übrigens viel im Zusammenhang mit dem Thema Datenschutz in den Medien herumgeistert. Und doch wird der Datenschutz zusehends ausgehöhlt.

Massendatenauswertung und eine harte politische Hand

Schauen wir nach Berlin. Dort hat das Bundesministerium des Inneren, kurz BMI, im Januar dieses Jahres den Startschuss für ZITiS gegeben. Dahinter verbirgt sich die Zentrale Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich, deren Sitz in München ist. Auf den BMI-Seiten heißt es hierzu: „ZITiS ist Bestandteil der Cyber-Sicherheitsstrategie für Deutschland. Sie ist eine Forschungs- und Entwicklungsstelle und soll Expertise in technischen Fragestellungen mit Cyberbezug für die Sicherheitsbehörden des BMI abdecken.“ Die etwas unklare Formulierung löst sich zwei Absätze weiter auf. Denn die Aufgaben liegen unter anderem in den Bereichen „der digitalen Forensik“, „der Telekommunikationsüberwachung“, „der Kryptoanalyse (Dekryptierung)“ und der „Massendatenauswertung“, sprich Big Data. Das alles, um Kriminalität zu bekämpfen, Gefahren abzuwehren und Spionage vorzubeugen. Bundesinnenminister Dr. Thomas de Maizière: „Eine ganze Reihe von Ereignissen mit kriminellem, insbesondere aber terroristischem Hintergrund im Verlauf des Jahres 2016 haben unsere Sicherheitsbehörden auch vor technische Herausforderungen gestellt. Daher ist die Einrichtung einer Zentralen Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich (ZITiS) im Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern von großer Bedeutung“ [2].

Ideen, Gedanken, Daten sammeln – immer und überall (Bild: fotolia.com_wladimir1804)

Klar ist, dass in Zeiten des Terrors alle möglichen Mittel und Wege gesucht werden, um Daten legal zu sammeln und auszuwerten. Und wo Verschlüsselung besteht, will man im Hause de Maizière diese brechen und nach Möglichkeit „Hintertüren“ einbauen. So positionierte sich der Minister im Rahmen der letzten „re:publica 2017“ nach WDR-Aussagen „klar gegen eine wirksame Ende-zu-Ende-Verschlüsselung: Es sei nicht hinnehmbar, Messenger-Nachrichten nicht so wie SMS auswerten zu können“ [3]. Außerdem ist Bundestagswahlkampf und eine harte politische Hand beim Thema der inneren Sicherheit liegt im Trend, wie die jüngsten Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen zeigten.

Zwar wehren sich digitale Großkonzerne gegen die Forderungen des Mitlesens und -hörens durch staatliche Stellen. Aber im Grunde besteht eine gewisse Seelenverwandtschaft von Staat und Digitalunternehmen der Marke Google, Amazon & Co. Diese beruht auf dem Sammeln und Auswerten riesiger Datenmengen. Die einen tun es, um die Kontrolle über den Bürger und die Deutungshoheit digitaler Informationen – auch im internationalen Cyberkampf – zurückzubekommen. Die anderen, um den Kunden besser einzuordnen und sein Denken, seine Wege und sein Einkaufsverhalten frühzeitig zu analysieren und vorauszusehen.

Vielleicht kommen Sturmhauben dann doch irgendwann in Mode. Sprich beim Einkauf der ganzen Familie: „Habt ihr eure Sturmhauben auf?“ fragen die Eltern vor dem Einkaufen ihre Kinder auf dem Rücksitz. „Ja“, antworten die wie selbstverständlich. Oder es kommt ganz anders und die Menschen sind froh, dass sie alles vor die Nase gesetzt bekommen – und sei es nur die angeblich personalisierteste Werbung. Wir werden es sehen und George Orwell dreht sich in der Zwischenzeit im Grabe um.

Quellen:

[1] www.spiegel.de/wirtschaft/gesichtserkennung-im-supermarkt-datensammler-ruesten-auf-a-1150335.html 

[2] www.bmi.bund.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2017/01/zitis-vorstellung.html 

[3] blog.wdr.de/digitalistan/politik-gesetze-und-filterblasen-notizen-von-tag-drei-der-republica-2017/